Wintertod (Rezension)

Wintertod ist die dritte Buchveröffentlichung von Gazer Press aus Wien und die zweite davon, die ich mir ansehe. Das Abenteuer ist runder als sein Vorgänger und zieht in den Beschreibungen alle Register.

Die Abenteuer von Gazer Press spielen im Dreissigjährigen Krieg. Eine wahrhaft grausame Zeit der Menschheitsgeschichte. Wer es nicht glaubt, soll sich die Wikipedia-Seite dazu ansehen. Dort gibt es ein Bild mit einem Baum, an dem zig Menschen hängen. Und darunter stehen weitere, noch lebende Verurteilte, die um ihr Leben würfeln «dürfen». Wie grausam kann der Mensch nur sein? Aber auch bei Wintertod würfle ich als Rollenspieler um das Leben meines Charakters, ein grausames Abenteuer?

Es ist der Winter 1634. Ein einsamer Gasthof auf einem verschneiten Passsattel, irgendwo in der Schwäbischen Alb. Oben trinken die kaiserlichen Soldaten um die Wette, unten im Keller frieren sich die Spielercharaktere in Ketten in den langsamen Tod. Dies ist ihre letzte Nacht, denn morgen werden sie als Diebe, Deserteure und Spione aufgeknüpft. Das Ziel ist darum so klar wie Gemüsesuppe: Wenn uns heute Nacht nicht die Flucht gelingt, ist unser Leben zu Ende. Also geht es los, geht es raus. Wenn es uns denn überhaupt gelingt aus diesen Schellen zu kommen. Hinaus in die Winternacht, vielleicht in den Wintertod. Die Flucht beginnt.

Seitenbemerkung: Wenn ich den Hintergrund von Wintertod lese, kommt mir immer sofort «Der lange Weg» mit Colin Farrell in den Sinn – und das ist gut. Der Film hat nämlich Eindruck hinterlassen und Wintertod auch.

Escape Game

Im Buch steht denn auch «Ein Escape-Game im Dreissigjährigen Krieg». Das ist nicht falsch. Dennoch ist es nichts für Escape-Game-Enthusiasten, die gerne «Exit» spielen. Das hier ist Rollenspiel, es ist düster und es geht um Leben und Tod.

Gelingt uns die Flucht, bevor der Morgen dämmert? Und bevor die kaiserlichen Soldaten und die Kopfgeldjäger mitkriegen, dass wir nicht mehr zusammengeschnürt im Keller sitzen?

Stil

Das Abenteuer Wintertod ist ohne 46 und mit Anhang 51 Seiten lang. Im handlichen Format A5, welches ich sehr mag, zwischen zwei festen Buchdeckeln. Während das Vorgängerabenteuer «Baphomet’s Sohn» mit Schwarz, Weiss und Pink auskam, ist das Pink bei Wintertod einem kühlen Blau gewichen. Die Illustrationen von Marianne Musek sind richtig gut, die Aquarelltechnik passt wunderbar zum Thema.

Der Schreibstil von Autor und Verlagsleiter Markus Schauta ist gewohnt direkt und schnörkellos. Schauta kennt sein Setting und hat ein Händchen für klingende Namen bei Nichtspielercharakteren (NSC). Wo sonst trifft man Ochstreibers, Ottes und Granfelds in einem Echtweltsetting?

Das Abenteuer

Das Abenteuer ist Flucht, Panik, Zeitnot. Dabei haben die Spielenden anfangs überhaupt keine Hilfsmittel und sind der Situation hilflos ausgeliefert: Keine Waffen, keine Ausrüstung, keine Mäntel, ja, vielleicht noch nicht einmal Schuhe an den Füssen.

Schon im Keller werden Konstitutionsrettungswürfe nötig. Was geschieht denn erst draussen, auf dem Bergpass, im Winter, wo es in der Nacht schon einmal minus fünfzehn Grad Celsius werden kann? Die Geschichte drumherum ist durchdacht, die NSC sind keine zweidimensionalen Pappaufsteller. Sie werden im Buch mit genau der richtigen Menge an Hintergrundinformation unterfüttert. Allerdings nicht ganz einfach, diese Informationen im Laufe des Abenteuers sinnbringend einzubauen.

Es ist beschrieben, woher die Gruppe Charaktere kommen könnte und vor allem auch, wohin sie gehen und wie die Geschichte fernab vom Gasthof ausgehen könnte. Die Familie Granfeld zum Beispiel, hat ihre eigene Leidensgeschichte zu erzählen. Es gibt Storylines, die nicht direkt mit dem Fluchtabenteuer zu tun haben und es gibt Verbündete, die den Charakteren im Kampf ums Überleben dienlich oder hinderlich sein können.

Die Regeln

Das Abenteuer ist mit Swords & Wizardy, Lamentations oft he Flame Princess oder anderen OSR-Regelwerken zu spielen. In Sachen Einfachheit der Regeln und Low-Fantasy, bin ich ja ein Freund von Old-School-Rollenspiel. Was Dungeons und die strikte Problemlösungsorientierung anstelle von Charakterspiel angeht, jedoch nicht so. Und so hatte ich mit der ersten Spielerfahrung von Wintertod ein wenig Pech. Ich spielte mit einer Gruppe, die vor allem Spass daran fand, effektiv zu fliehen. Welcher Charakter dabei was warum sagte, fühlte oder tat, spielte eine untergeordnete bis keine Rolle. Darunter litt für mich die eigentlich so dichte Atmosphäre des Buches leider gewaltig. Schade um die vielen guten Details.

Atmosphärisch

Ich glaube, Wintertod lebt sehr fest davon, das von Markus Schauta Niedergeschriebene während des Spiels zu erzählen und den Spielenden damit die Atmosphäre der Umstände zu transportieren. Die Handlung der Charaktere hat grössere Auswirkungen als «nur» deren Überleben oder Sterben. Die Hintergründe der NSC müssen meiner Ansicht nach ansatzweise erwähnt werden. Die Einbettung in den Dreissigjährigen Krieg, die Lage und Geschehnisse, das Leben und Sterben in dieser Zeit will ausgebreitet werden, die Fraktionen erklärt. Es muss etwas auf dem Spiel stehen, darum müssen die Charaktere eine Lebensgeschichte vor dem bevorstehenden Tod zu retten haben. Einige Ereignisse in der Geschichte geschehen, abgesehen davon, was die Charaktere tun; eine Technik, die auch bei Warhammer Fantasy zu grandiosen Abenteuern führt.

Kompakt

Das Szenario ist bis ins Detail durchdacht. Es ist komplett, mit genau der richtigen Menge an Informationen auf seinen 46 Seiten. Es kann als One-shot oder als Teil einer Kampagne gespielt werden. Das Buch ist atmosphärisch dicht. Es will nicht zu viel, bietet alles, was gebraucht und mehr als erwartet wird.

Tödlich

Ach, ist sie nicht wundervoll, diese still da liegende, verschneite Berglandschaft in dieser prachtvollen, klaren Winternacht? Doch, sie wäre es! Müssten wir nicht mit Ketten an den Händen, ohne wärmenden Mantel, aus Wunden blutend um unser Leben rennen, während zwischen den Bäumen die Wölfe heulen. Wintertod, wir kommen!

Ich möchte erfahren, wenn es neue Artikel gibt!

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