Matt Mercer Effekt

Ich wünsche mir, dass es irgendwann einen Effekt gibt, der meinen Namen trägt. Der zwar ein bisschen negativ gemeint ist, aber eigentlich besagt, dass ich extrem gut bin, in dem, was ich tue. Denn so ist der Matt-Mercer-Effekt.

Matthew Mercer ist der bekannteste und wahrscheinlich monetär erfolgreichste Dungeon Master, den es gibt. Er leitete Rollenspiele in einer Wohnung, wie wir alle. Nun leitet er sie in Hallen vor tausenden Zuschauern und im Internet mit hunderttausenden Zuschauern. Kürzlich wurden seine Sessions als Zeichentrickserie veröffentlicht. Und von Wizards of the Coast gibt es offizielle Dungeons & Dragons Bücher mit Matt Mercers Weltenbeschreibung, seinen Settings und NPCs aus Exandria: Call of the Netherdeep.

Hochstapler-Syndrom

Matthew Christopher Miller, wie Matt Mercer eigentlich heisst, ist um die 40 Jahre alt, Synchronsprecher und noch kein ausgewiesener Millionär, aber sicher bald. Er ist der kreative Master Mind hinter dem künstlerischen Teil von Critical Role. Auch wenn sich die anderen CR-Mitglieder die Businessaufgaben untereinander teilen. Matt leidet unter dem Impostor Syndrome. Das bedeutet, dass er sehr bescheiden geblieben ist und sich unwohl fühlt, wenn ihm plötzlich so viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Zu viel Aufmerksamkeit, nach seinem Geschmack, obwohl er schliesslich nichts anderes tut, als alle anderen Nerds auch. Da kommt er sich vor, wie ein Betrüger.

Was ist der Matt Mercer Effekt?

Der Matt Mercer Effect ist die unrealistische Erwartung meist neuer D&D-Spieler an ihren DM. Die Erwartung, dass sich ein Spiel genauso anhören und anfühlen wird, ja genauso smooth ablaufen wird, wie die Spiele, die der professionelle Synchronsprecher, Moderator und Schauspieler Matthew Mercer perfekt gescriptet und vor laufenden Kameras leitet. Das ist in etwa so, als ob ein Fussballfan sich die YouTube-Videos von Messi, Ronaldo und Ronaldinho anschaut, um dann endlos enttäuscht zu sein, wenn die Kickerei seiner Freunde auf dem Bolzplatz nicht demselben Niveau entspricht.

Matt Mercer Stil

Der Matt-Mercer-Effekt dreht sich aber nicht nur um die Qualität seiner Geschichtenerzählkunst, der Darstellung von Nichtspielercharaktere und der Detailverliebtheit seiner Welten – es geht auch um seinen Stil. Denn jede Spielleitung hat andere Stärken, Schwächen und Vorlieben. Jede SL hat andere Vorstellungen, wie ein Rollenspiel abzulaufen hat. Von Matt-Mercer-Effekt wird auch gesprochen, wenn die Spielenden enttäuscht sind, dass ihr Dungeon Master (ihr Spielleiter) einen anderen Stil pflegt, als sie das von hunderten Stunden Critical Role schauen, gewohnt sind.

Matt Mercer Druck

Der Matt Mercer Effekt benötigt aber noch nicht einmal erwartungsvolle und enttäuschte Spielerinnen. Allein der Umstand, dass ein GM sich selbst Druck macht, nicht so gut zu leiten, wie er sich das von den Profis gewohnt ist, wird Matt-Mercer-Effekt genannt.

Was vielen oft nicht klar ist, ist wie viel Zeit und Geld die Profis in diese Spiele investieren und investieren können. Ganz abgesehen davon, dass sie oft schon zwanzig Jahre und nicht erst seit Corona leiten. Kommt hinzu, dass ein Spiel für die Kameras vorbereiteter, flüssiger und ohne Tiefpunkte sein muss. Es ist also ein ganz anderes Spiel, mit anderen Zielen als jenes zu Hause. Wenn dann noch Kulisse, Schminke, Übung und Soundeffekte ins Spiel kommen. Wenn perfekt bemalte Minis und gigantische Battlemats im Wert von hunderten Dollars auf den Tisch kommen. Wenn lasche Stellen elegant rausgeschnitten und übersprungen werden können, dann ist die Erwartung, so eine Sendung zu Hause nur im Ansatz reproduzieren zu können, völliger Blödsinn.

Der positive Matt-Mercer-Effekt

Am Ende hat der Mercer-Effekt aber auch sein Gutes. Denn wenn es nicht darum geht unrealistische Erwartungen auf den eigenen DM zu projizieren und enttäuscht zu werden, sondern darum, ein Vorbild zu haben, der einem zeigt, wie man es machen könnte, dann ist doch alles in Butter. Überall wo man sich eine Scheibe abschneiden kann, sollte man gut hinsehen. Matt Mercer hat so viel für die Rollenspiel-Community getan, wie kaum ein anderer in den letzten Jahren. Dabei ist er scheinbar so humble geblieben, wie ein erfolgreicher Mensch mit so vielen Fans das nur sein kann. Deshalb möge Matt uns weiterhin in Demut beeindrucken und begeistern, obwohl wir unseren eigenen Stil pflegen und auf unserem eigenen Niveau spielen. Und dann und wann blitzt vielleicht ein ganz klein wenig Matt Mercer in unserer Art zu leiten hervor: «A bunch of nerdy-ass regular people playing Dungeons and Dragons

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5 Kommentare

  1. Schön Zusammengefasst. 🙂
    Ich will noch die „Legende“ erwähnen, die ich in diesem Zusammenhang immer wieder lese: Matt Mercer selbst soll ziemlich entsetzt gewesen sein, als er erfuhr, dass der Mercer-Effect ein Ding ist. Schließlich wollte er nur was Tolles tun und das mit der Welt teilen, und sie nicht schlechter machen.
    Klingt sehr sympathisch. Ich habe allerdings keine verwendbare Quelle dafür gefunden.

  2. Spannender Artikel! Ich habe von dem Phänomen gehört, bin aber in „freier Wildbahn“ noch nicht darauf gestoßen, was aber wohl hauptsächlich daran liegt, dass ich idR mit Leuten spiele, die zumindest schon eine Weile im Hobby sind.
    Tatsächlich fällt mir an mir selbst etwas ähnliches auf: Ich höre viele Actual Plays als Podcast und immer wenn die Leute besonders Spaß an einem System haben, habe ich dass Bedürfnis mir das selbst zuzulegen. Obwohl natürlich weiß, dass sich das nicht replizieren lassen wird, weil ich selbst anders Leite, andere Spieler:innen habe und auch die Storys anders sind. Aber das Bedürfnis ist da.

  3. Der Effekt ist mir auch noch nicht so direkt untergekommen. Aber ich glaube ungesehen, dass es ihn gibt, entweder als Erwartung an die Spielleitung, oder man macht sich selbst den Druck, „so gut“ zu sein. Critical Role mag mal als „normale“ DnD-Runde gestartet haben, aber wenn sich lauter Voice Actor / Voice Actress zusammenfinden, sind das schon ganz andere Voraussetzungen. Spätestens, als sie sich mit dem Studio professionalisiert haben, können sie ihre berufliche Studioerfahrung voll ausspielen. Da können wir mit anderen Jobs nicht mithalten – müssen wir ja auch nicht! Wobei die grundsätzliche Disziplin, die in der Runde vorherrscht hinsichtlich Konzentration, Nebenbeschäftigung, Immersion aufrecht erhalten schon bemerkenswert ist und man sich diese Punkte auch ohne Acting-Erfahrung mit etwas Fleiß aneignen kann (als Spieler*in UND Spielleitung). Ich würde das also nicht unbedingt an den materiellen Dingen festmachen, auch wenn CR hinsichtlich Studio, Gaming Table, Miniaturen, BattleMap, etc. natürlich aus den vollen schöpfen kann. Wer Geld hat, könnte sich das auch alles beschaffen, aber das allein würde längst nicht genügen, ein solches Ergebnis zu produzieren.

    Lerne von den Besten! Bedeutet, wenn man CR bzw. Matt Mercer konsumieren und das Vergleichen mit dem eigenen Spiel abstellen kann, kann man auch super viel für sich lernen. Einfach nur X Jahre Rollenspiel zu spielen genügt nicht, automatisch und von selbst besser zu werden. Erst, als ich mir externe Anregungen geholt habe (ja, das war auch Matt Mercer), habe ich für mein Empfinden einen spürbaren Schub gemacht. Sicherlich wird nicht alles zum eigenen Spielstil passen, aber einige Anregungen, Ideen, Herangehensweisen und Methoden kann man mal ausprobieren und für sich schlussendlich im eigenen Stil übernehmen. Alles kann, nix muss. 🙂

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