Rollenspiel: Kino oder Simulation?

Spielt man Rollenspiel, wie einen Kinofilm oder wie die Realität? Ist es realistisch, wenn die Helden nicht nur Rüstungsschutz, sondern auch Plot Armour haben?

Ist es zu simulationistisch, wenn der Held in der ersten Session wegen eines Wespenstichs und einem Crit Fail abnippelt? Da scheiden sich die Geister. Ein Versuch, diese Spielarten aufzudröseln, ist mein Artikel zu den drei Stufen des Rollenspiels. Ich gestehe, ich persönlich bin da sehr breit festgefahren.

Ansprüche an die Spielleitung

Ich will eine Geschichte, die schon da ist und die nicht völlig zufällig im Moment entsteht. Ich will, dass sich die Spielleitung im Vorfeld etwas Grossartiges erdacht hat. Ich will auch, dass die Spielleitung flexibel und demütig genug ist, um etwas Vorbereitetes einfach über Bord zu werfen, sollten wir etwas völlig anderes tun. Ich will, dass der Wespenstich mich umbringt, auch wenn es doof ist. Warum? Weil das die Welt, die Regeln und die Situation verlangen. Wenn mich der Wespenstich nicht umbringt, obwohl die Regeln und der Würfel das sagen, dann ist das für mich Railroading, nicht die vorbereitete Geschichte. Aber mir ist Story-Railroading sowieso einerlei.

Der devote Spieler

Im Gegenzug bin ich trotzdem bereit, alles über mich ergehen zu lassen, was die Spielleitung will. Ich liefere mich aus. Immer in der Erwartung, dass die Spielleitung nicht von sadistischen Idioten ausgeübt wird. Dann darf die Spielleitung Regeln übersteuern, Würfelwürfe fälschen und komische Ideen für ungültig erklären. Ich würde sogar so weit gehen, ohne Würfel zu spielen und mich komplett auszuliefern. Hier meine Gurgel, beiss zu, wenn du willst. Denn ich will, dass wir die tollste Erzählung erschaffen, zu der wir fähig sind.

Im Dienste der Story

Da werfen wir Regeln über Bord, Befindlichkeiten über Bord und Egos über Bord. Ich habe einmal einen Podcast gehört, da erzählten ein paar angeberische Rollenspielfreunde davon, wie sie PvP (Player versus Player) Rollenspiel spielten und dabei die epischsten Tode starben, die fiesesten Intrigen anzettelten und grausame Folter erduldeten. Und das, obwohl sie out-game wussten, was ihre Kollegen vorhatten. Sie waren (angeblich) trotzdem in der Lage so zu tun, als wüssten ihre Charaktere von nichts. Als hätten sie keine Ahnung, dass der Meuchler mit dem Dolch hinter dem Vorhang wartete. Ob ich das glauben kann? Keine Ahnung. Zweifelhaft. Ob es mich fasziniert? Ja doch! Wahnsinnig sogar.

Die Welt der SL

Wenn ich spiele, interessiert mich nicht, ob da gemäss Setting ein Gasthaus sein sollte. Da ist, was die SL sagt. Mich interessiert nicht, wie sich die Lebenspunkte nach acht Stunden Schlaf erholen und wie ich das errechnen muss. Ich lerne es zwar, den anderen zuliebe, aber eigentlich würde mir reichen, wenn die Spielleitung sagt: «Ihr schlaft, da haste fünf Punkte zurück.» Waren es beim letzten Mal acht Punkte, nach acht Stunden? So what? Wir schlafen auch im echten Leben nicht immer gleich erholsam. Wir können auch im echten Leben nicht auf die Regeln pochen oder überhaupt ergründen, warum etwas geschieht, wie es geschieht.

Der Idealfall

Voraussetzung dafür ist das Vertrauen in die anderen Spieler und vor allem anderen in die Spielleitung. Wenn alle das Beste wollen, keine Powergamer oder Nichtverlierenkönner dabei sind, dann gibt es doch kein Problem. Schliesslich wollen wir spielen. Spielen, wie in Schauspielen, nicht wie im Sport. Zumindest geht das mir so.

Ich will Indiana Jones sein, aber in einer echten Welt, in der er auch an einem Wespenstich sterben kann. Ich will die grosse Geschichte, die ein Indiana Jones erleben kann, aber in einer Welt, in der es keine Plot Armor gibt und in der der Bösewicht nicht wartet, bis ich endlich angekommen bin, weil ich vorher noch siebzehn Mal Verborgenes erkennen würfeln wollte.

Ich will Narration in der Simulation – und die Unsicherheit eines Würfelwurfes. Dann bin ich vollends zufrieden.

Ich möchte erfahren, wenn es neue Artikel gibt!

6 Kommentare

  1. Hier finde ich mich völlig wieder: „Ich will eine Geschichte, die schon da ist und die nicht völlig zufällig im Moment entsteht. Ich will, dass sich die Spielleitung im Vorfeld etwas Grossartiges erdacht hat. Ich will auch, dass die Spielleitung flexibel und demütig genug ist, um etwas Vorbereitetes einfach über Bord zu werfen, sollten wir etwas völlig anderes tun.“
    Im Rest nicht so, weil ich ehrlich gesagt nicht so ganz die beiden Aussagen zusammenbringe und verstehe: Beim Charaktertod legst du Wert auf Einhaltung der Regeln. Ansonsten legst du aber so wenig wert auf Regeltreue, dass du der SL zugestehst, Würfel zu zinken oder inkonistente Regeln zu verwenden.
    Also: Angenommen, du hast noch 8 LeP. Wenn der Wespenstich letztes Mal 1W6+7 Schaden gemacht hat, jetzt aber nur noch 1W6+1, und du deshalb nicht draufgehst… ist das jetzt das was du willst, oder nicht? Oder was ist, wenn die SL verdeckt würfelt und behauptet, der Wespenstich hätte weniger als 8 Punkte Schaden gemacht?

    Was ich auf jeden Fall sympathisch finde, ist die Einstellung: „Ich fordere von der SL sowohl Vorbereitung als auch Flexibilität, dafür bin ich aber auch selbst bereit, mich zu verbiegen, wenn es dem Spiel dient.“

    1. Hallo Florian. Genau diese Diskrepanz ist mir heute auch aufgefallen, als ich es noch einmal las. Vielleicht erschliesst sich das aus dem Text nicht so richtig, aber gemeint ist, dass nicht auf mein Charakter Rücksicht genommen werden soll, sondern auf die Story. Also nicht die Regeln biegen, weil ein Bienenstichtod blöd wäre, aber die Regeln biegen, damit die Geschichte awesome wird.

      1. Und was ist, wenn „auf den Charakter Rücksicht nehmen“ und „auf die Story Rücksicht nehmen“ bzw. „dafür sorgen, dass die Story ‚awesome‘ wird“ dasselbe ist?

        Ich als SL neige dazu, meine Stories so zu gestalten/anzupassen/umzuschreiben, das die SC Teil dieser Story sind, das die Geschichte von ihnen (und genau ihnen) beeinflusst wird, das es einen Grund hat, warum gerade diese X Helden in das Geschehen verwickelt sind, und nicht irgendwelche anderen. Das die Helden eben nicht beliebig austauschbar sind und die Story auch von irgendwelchem anderen erlebt und die ‚Queste‘ von jemand anderem gelöst werden kann. Oder zumindest soweit, dass wenn plötzlich andere Helden weitermachen müssen, die Story eben nicht mehr so ‚awesome‘ ist, weil dieser andere (Ersatz)Held eben nicht so involviert ist und deswegen aus einem „ach so hängt das alles zusammen“ nur ein „ach ja, ganz nett“ wird.

        Bsp.:
        Wenn Luke bei Star Wars von den Tusken erschlagen worden wäre, und Leia im Todesstern zu Tode gefoltert wäre… dann hätte R2 vielleicht doch noch zu Obi-Wan gefunden, und die Daten wären doch noch irgendwie bei den Rebellen gelandet. Die große Überraschung im (ursprünglich) zweiten Teil, dass Darth Vader Lukes Vater ist, wäre aber hinfällig gewesen, und der Wow-Effekt wäre hinüber. Auch die Enthüllung im darauffolgenden Teil, das Leia Lukes Bruder ist, wird nur wirklich interessant, wenn beide noch leben und Luke damit weiß, dass, wenn er scheitert, noch jemand anderes da ist, der da weitermachen kann, wo er versagt hat. Das „die SC (Luke und Leia) durch mogeln am Leben halten“ dient hier also dazu, „die Story ‚awesome‘ zu machen“.

  2. Auf den ersten Blick wirkt der Artikel inkonsistent: eigentlich willst du sowohl Kino als auch Simulation. Aber auf den zweiten Blick ergibt es Sinn: eine reine Simulation ohne Story ist genauso langweilig wie Kino ohne glaubhafte Welt. Erst im Zusammenspiel wird es interessant und spannend. Insofern: ja, Zustimmung.

    Nur für das Würfelzinken gibt es eine bessere Lösung: einfach nicht würfeln lassen. Nur würfeln, wenn beide Ergebnisse die Story bereichern.

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