Zwei Generationen von Rollenspielenden

Eine Box aus der Spielwarenabteilung im Kaufhaus oder eine Hochglanzsendung auf YouTube. Viele Wege führen zum Rollenspiel. Darum ist die Szene nicht mehr so homogen. Zumindest, was die Demografie betrifft.

Prolog: Jüngst fällt mir auf, dass es zu jedem Thema immer eingefleischte Fachleute gibt. Schreibst du über Dungeons & Dragons, dann gibt es immer die eine oder den einen, die oder der D&D bereits seit den Anfängen bis zur Jetztzeit händchenhaltend begleitet hat und es sehr viel genauer weiss. Schreibst du über Fantasy, gibt es da jemanden, der die grösste Fantasy-Sammlung der Welt besitzt und sich sein ganzes Leben lang nur damit beschäftigt hat.

Das soll mich aber nicht davon abhalten, diesen Blog zu schreiben und meine persönliche, sehr subjektive Sichtweise auf Rollenspiel niederzuschreiben. Ein Blog ist ein Tagebuch für Gedanken, Meinungen und Geistesblitze, statt für Erlebnisse. Dieser Artikel hier… Es werden sich ganz viele Rollenspieler*innen auf den Schlips getreten fühlen, weil sie sich in der Beschreibung wiedererkennen, aber eben nur teilweise. Oder weil sie denken werden: Aber so bin ich doch gar nicht! Dieser Text beabsichtigt keine Wertung, soll niemanden angreifen, nur einen Gedanken aufzeigen und beschreiben. Ich schicke dies voraus, weil auch dieser Artikel wieder ganz viele Anderssehende auf den Plan rufen wird. Oh, mögen sie kommen, die Geister, die ich rief. Fangen wir an.

Das Wort Generation ist schwammig, nicht so genau definiert. Darum wird es Menschen geben, die ankommen und sagen, es hätte schon fünf, zehn oder zwanzig Generationen von Rollenspielerinnen und Rollenspielern gegeben. Möglich. Ich will aber darauf hinaus und darauf eingehen, dass es gerade jetzt zwei Schulen, Wellen oder eben Generationen des Rollenspiels gibt. Eine Erkenntnis, die den Gesprächen am Online Tanelorn Treffen im April entsprang.

Die alte Schule des Rollenspiels

Die über 40-jährigen, die in ihrer Schulzeit, Studentenzeit oder schon seit den 70er Jahren Rollenspiel spielen. Die Leute, die nie damit aufgehört haben. Die Sammler und Kenner. Jene, welche die Old School Renaissance ins Leben riefen, weil sie den alten Dungeons, der Regelarmut und schwarz-weiss Illustrationen nachtrauern, bzw. diese immer noch lieben und leben. Und jene, welche an zig Conventions waren. Ihnen allen ist Rollenspiel ein wichtiger Teil des Lebens. Ein Stück, das sie ausmacht und definiert. Sie haben ihre Freundschaften und teils sogar Partnerschaften über das Rollenspiel gefunden. Sie spielen regelmässig, schreiben darüber, kreieren selbst und tauschen sich in, von der neuen Schule als unzeitgemäss betitelten, Foren im Internet darüber aus.

Fast alle dieser Gruppe, haben aus Büchern und Spieleboxen heraus gelernt, Rollenspiel zu spielen. Einer musste sich als DM verpflichten, der Rest spielte mit. Learning by doing war angesagt. Niemand erklärte ihnen, wie Rollenspiel eigentlich geht. Den eigenen Stil fand man, indem man drauflosspielte.

Diese Menschen bemalten später Miniaturen, bastelten Handouts und Props. Sie bauten Landschaften und schrieben selbst Abenteuer. Sie sprangen Hals über Kopf in manch eine Welt, die sie über Jahre und Jahrzehnte immer wieder besuchten. Eine Welt, die sie nicht wieder losliess.

Die neue Schule des Rollenspiels

Dann gibt es da die junge Generation. Zum Rollenspiel sind sie nicht über Spieleboxen aus dem Kaufhaus, sondern über das Internet, die Rocket Beans, Critical Role, Stranger Things und The Big Bang Theory gekommen. Oder über Computerspiele. RPGs, wie The Witcher 3 und Elder Scrolls. Sie schauen sich von den Vorbildern auf Twitch und YouTube ab, wie man spielt und wollen dieses Spielgefühl auch erleben.

Sie kommunizieren nicht in Foren, sondern in Discord-Communitys. Sie spielen über Roll20, Foundry VTT und Fantasy Grounds. Diese Gruppe von Rollenspielenden benötigt nicht unbedingt Würfel und Miniaturen, sondern WhatsApp, Würfelbots und Avatare. Sie testen zehn Systeme und Welten aus, bevor sie sich festlegen. Wenn überhaupt. Oder sie spielen einfach D&D. Sie beziehen Abenteuer digital, im äussersten Fall als PDF, aber doch sicher nicht als gebundenes Papier in einem physischen Regal. Sie sind schnell, euphorisch und experimentierfreudig.

Wir sind alle Nerds

Selbstverständlich zeige ich hier nur die Pole auf, versuche die Generationen überspitzt zu charakterisieren. Dazwischen gibt es jede erdenkliche Mischung und auch welche, die nicht hier reinpassen. Und das ist doch gut so.

Die neue Schule ist meist noch nerdiger, als es die alte ist. Diese Menschen mögen neben Rollenspiel auch Mangas, Comics, Computerspiele, LARP, Wrestling, Star Wars, Cosplay und noch vieles mehr. Und ja, das gab und gibt es auch in der alten Schule schon. Doch gibt es dort noch viel mehr Menschen, die mehr auf nordische Sagen, Heavy Metal und Mittelaltermärkte standen.

Und ja, die neue Generation sieht sich auch als Nerds. Doch heute ist Nerd-sein salonfähig geworden. So, wie Musikstile in die Populärkultur eingeflossen sind, welche früher noch Underground waren, sind Computerspiele, Anime und Nerdkultur in der Gesellschaft angekommen. No more satanic panic, no more nerds, geeks and freaks. Alles geht, sei wie du willst, solange du niemandem damit schadest. Eine löbliche Entwicklung.

Win-win für Pen and Paper

Vielleicht ist das auch der Grund, warum Old und New School in der Rollenspiel-Community so friedlich miteinander und nebeneinander existieren. Denn die alte Schule profitiert vom neuen Hype. Mehr Menschen interessieren sich für das Hobby, mehr Menschen erfinden neue Produkte und kaufen sie. Mehr Medieninhalte entstehen für, zum und über das Hobby. Die neue Generation profitiert vom Wissensschatz und den beachtlichen Sammlungen der alten Weisen. Diese können einordnen, vergleichen und beurteilen. Sie verkneifen sich die Gate-Keeper-Funktion zum Vorteil der Wiederbelebung ihres liebsten Zeitvertreibes.

Am Ende (ich kann es nicht oft genug wiederholen) ist es einfach toll, dass ein bald 50 Jahre altes Spiel, welches auch «Stift und Papier» genannt wird, immer noch existiert und sogar eine neue Blütezeit erlebt. Ein ganzes Computerspielgenre ist daraus hervorgegangen und Alt wie Jung, Eltern und Kinder erfreuen sich an einem Spiel, welches Imagination, Erzählkunst und die Kreativität fördert.

Ich möchte erfahren, wenn es neue Artikel gibt!

2 Kommentare

  1. Schön neutral und dennoch treffend formuliert – diese Pole sehe ich (konstruierterweise) auch, gerade wenn man auch noch die Podcast- und Youtuberszene dazunimmt.
    Und meinem Gefühl nach haben diese zwei „Generationen“ vergleichsweise wenig Berührungspunkte, wenn sie nicht durch Zufall mal zum gemeinsamen Spiel zusammenfinden – das auch schon nicht mehr junge Thema von den erfahrenen Gatekeepern vs. den experimentierfreudigen Systemhoppern…

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