Cthulhu hat ein Prinzip: Kosmischer Horror liegt in unserer Welt verborgen, fast gewöhnliche Menschen stolpern über Ungereimtheiten, am Ende drehen sie durch oder geben den Löffel ab. Aber ist Cthulhu deshalb langweilig?
Nein, ist es nicht. Ist es immer das Gleiche? Ja und nein. Aber lass uns das ganz langsam auseinanderpflücken… Wenn ein Storykonzept langweilig ist, dann ist jede Geschichte langweilig, denn jede Geschichte basiert auf einem tausendfach angewandten Konzept. Es gibt eine gewisse Anzahl von sogenannten Masterplots. Die genaue Zahl weiss ich nicht mehr, irgendwas zwischen zehn und zwanzig. Und jeder Film, den wir uns ansehen, basiert genau darauf. Die Rivalen, die Rettung, die Metamorphose, die Suche und so weiter. Trotzdem ist es immer wieder spannend, ein Buch zu lesen, eine Geschichte erzählt zu bekommen, einen Film zu schauen. Erstens, weil wir zu Beginn selten wissen, wohin die Reise geht und zweitens, weil wir uns dessen zum Glück nicht bewusst sind.
Cthulhu, D&D und das Leben
Das «Problem» bei Cthulhu ist, dass das Strickmuster in relativ kurzer Zeit abläuft. Cthulhu ist ja auch bekannt für One-Shots oder Few-Shots und weniger für seine langen Kampagnen, obwohl es da monumentale Kampagnen gibt. Und nun ist es so, dass wenn ein Muster in kurzer Zeit abläuft, es einfacher zu erkennen ist, als wenn es über ein Jahr dahinplätschert. Vergleichen wir es mit einer «Dungeons & Dragons»-Kampagne, dann sehen wir schnell, dass auch diese im Grunde immer denselben Ablauf hat. Die Details unterscheiden sich von Spiel zu Spiel, aber im Grossen und Ganzen ist es doch immer dasselbe:
Big Bad Evil Guy will Macht an sich reissen und die Welt unterjochen oder zerstören. Es braucht Helden, um ihn aufzuhalten. Zufällig spielen wir ja Helden, darum ziehen wir los und bekämpfen alles, was uns annähernd Böse erscheint, bis wir endlich den BBEG gefunden haben, dann bekämpfen wir ihn. Sind wir siegreich ist alles wieder gut. Manchmal gibt es Zwischenbosse, manchmal Artefakte, manchmal ist es ein Magier, manchmal ein Mobster oder Vampir. Immer dasselbe. Ist es darum langweilig? Nope. Aber es ist doch immer dasselbe. Und wer sich nun daran stört, könnte sich auch daran stören, dass das Leben immer dasselbe ist. Geburt, Formung, Struggle, Entspannung, Ende. Ist das Leben deshalb langweilig? No way!
Der Unterschied zu D&D
Bei D&D läuft der Held durch die Welt und weiss, welcher Schrecken ihn erwartet. Der Held streift umher, um das Böse auszumerzen. Bei Cthulhu laufen fast normale Menschen einem seltsamen Ereignis hinterher, um zu entdecken, dass die Welt mehr beinhaltet, als allgemein bekannt ist. Und diese Prämisse hat doch etwas Grossartiges. Zwar muss man als SpielerIn zwischen zwei Spielen idealerweise den Reset-Button drücken und sich darüber freuen, dass schon wieder Grusel aus dem Nichts kommt. Doch schliesslich sind es die Charaktere, die keine Ahnung haben sollen und nicht die Spielenden. Wer das nicht unterscheiden kann, hat noch etwas zu lernen über Rollenspiel: Spieler-Wissen ist nicht gleich Charakterwissen.
Pulp Cthulhu
Und wer nun wirklich keine Lust mehr hat auf machtlose, sterbende und wahnsinnig werdende Niemande, der kann immer noch zu Pulp Cthulhu wechseln, wo Indiana Jones ähnliche Charaktere sich Gewehrsalven abgebend durch die Welt schwingen und Monster vernichten. Dann sind wir auf der Wellenlänge von D&D. Heldentum statt Gruselkrimi.
Ein Hoch auf Cthulhu
Cthulhu ist ein bereits hundert Jahre alter Weltenbau, eines gruseligen Menschen, der wenig Glück in seinem Leben erfuhr und erst nach seinem Tod weltberühmt wurde. Und es ist diese von Lovecraft erfundene Welt, die unseren Menschennerv im Innersten kitzelt. Was, wenn wir nicht alleine sind? Was, wenn wir uns die Welt nicht untertan machen, sondern zu einer unterlegenen Spezies gehören? Was, wenn uns dies plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt? Wir haben keine Mechanismen, um damit geistig umzugehen und keine Mittel, um uns dagegen zu wehren. Das ist doch gruselig. So geht es anderen Lebewesen jeden Tag und vielleicht ist sogar nicht nur Grusel, sondern eine clevere Moral in diesen Geschichten?
Ich lerne mit jedem Abenteuerbuch von Cthulhu etwas Neues: über Völker in Neuginea 1890, über ägyptische Ausgrabungen, über die Französische Revolution und wie es dazu kam, über Polar-Expeditionen und über Gangster in den Goldenen Zwanzigern in Chicago. Das immerhin ist ein Effekt, den ich bisher nur bei Cthulhu und weder bei Das Schwarze Auge, noch Shadowrun, noch My Little Pony erkennen konnte. Cthulhu und immer das Gleiche? Irgendwie schon und gleichzeitig mitnichten.
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