Falls es in der Rollenspielszene so etwas wie bekannte Menschen gibt, ist Moritz Mehlem einer davon. Er steht für OSR. Was genau das ist und warum das rockt, erklärt uns «OSR-Papst» Moritz Mehlem selbst.
Lieber Moritz,
danke, dass du bei diesem Interview mitmachst.
Ich spiele selbst gerne im OSR-Stil, weil ich regelleichte Systeme mag und finde, dass die Spielleitung das Spiel leiten und nicht nur als Bespasser für die Spielenden walten soll. Balancing finde ich auch überbewertet… OSR-Abenteuer sind mir Blümchen aber oft zu heftig und Dungeons und Räume, die ich alle erst mit dem Stab nach Fallen abklopfen muss, machen mir nicht besonders viel Spass. Darum 10 Fragen zu OSR. Und wer könnte die besser beantworten als du? Eben.
Erstmal vorab, also eigentlich Frage 0: Heisst OSR eigentlich Old School Renaissance, Old School Revival oder Old School Rollenspiel?
Für mich ist es Old School Renaissance. Aber das war halt so zu Beginn der Bewegung um 2006 herum. Da habe ich es mir so angewöhnt. Aber nenn es wie du möchtest. Es ist ohnehin a) nur ein Begriff und b) ein unglaublich schwer zu greifender Begriff.
Abgesehen davon, dass du schon das erste Zeitalter des Rollenspiels erlebt hast: Warum lieber Old School als New School?
Das kann ich so gar nicht beantworten. Natürlich bin ich irgendwann in der Garage von Gary Gygax aufgetaucht und habe mit ihm Würfel geschnitzt und Boxen mit Laminatoptik beklebt, aber das prädestiniert mich zu keiner allgemeinen Antwort.
Ich weiß nicht was «Old» und «New» School ist und spiele erst einmal alles, was nicht schnell genug auf den Bäumen ist. Das ist wie mit Nudeln an die Wand werfen, um zu testen, ob sie schon durch sind – einige bleiben kleben, andere rutschen runter auf die Arbeitsplatte.
Und old-schooliges D&D-Spiel gefällt mir einfach immer noch. Es ist einfach, spielt sich schnell, ich kenne die Regeln auswendig – aber das heißt nicht, dass ich nicht auch zahlreiche moderne Systeme mag und spiele, egal ob Dinge wie Kagematsu, Geh nicht in den Winterwald, einige pbtA-Ableger…
Nach den 90ern wo Systeme immer feingranularer werden mussten und Sachen wie GURPS, Ruf des Warlock oder auch DSA jenseits von DSA 3 stehe ich aktuell auf Systeme mit weniger Regeln und genauerem Fokus und die finden sich sowohl in der OSR-Ecke als auch im Indie-Bereich. Und selbst D&D 5, das ja spätestens seit der Corona-Zeit die Szene überrollt, spielt sich ja recht flott.
Also ist die Antwort in Kurzfassung: Ist gar nicht zwingend so.
Bitte klär mich auf: Meint OSR eigentlich die alten Spiele, Systeme und Abenteuer oder neue, die so tun wie die alten?
Das ist einfach erklärt. «OSR» ist ja nur ein spezifisches Feld sämtlicher old-schooliger Spielstile. OSR bezieht sich im engsten Sinne auf Systeme, Settings und Abenteuer, die auf irgendwelchen D&D- oder AD&D-Versionen vor D&D 3 (also dem Jahr 2000) basieren. Die OSR begann 2006 mit den Systemen OSRIC (AD&D 1), Labyrinth Lord (D&D Classic mit einer Prise AD&D 1) und Swords&Wizardry (Original D&D) und sollte ursprünglich nur die alten Systeme emulieren und es sowohl ermöglichen die alten Abenteuer bespielen zu können, aber auch neue Abenteuer erstellen und vertreiben zu können.
In den letzten Jahren wurde das aufgeweicht und die Bewegung veränderte sich – Beyond the Wall oder Dungeon Crawl Classics kombinierten alte Mechaniken mit modernen und gaben ein Spielgefühl, das irgendwie retroig war, aber dennoch etwas mehr «Pfiff» hatte.
Heutzutage verlieren auch internationale Szenegrößen den Überblick, da Krethi und Plethi ihre eigenen Hacks basteln, diese Hacks wieder hacken und dann davon einen Hack erstellen. Das liest sich gerade vielleicht etwas despektierlich, aber ich habe eine riesige Hochachtung vor der Kreativität, die in dieser Bewegung steckt. Es ist einzig und allein so, dass es schwer ist, den Überblick zu bewahren.
Mal ehrlich: Ist OSR-Rollenspiel nicht etwas grauslich, bei all den schönen Storys und farbigen Illustrationen, die es heutzutage gäbe? Ganz abgesehen von heutigen Regelwerken, die einem (im Gegensatz zu OSR) bei jeder Detailentscheidung helfen?
Das sind ja gleich zwei Fragen zum Preis von einer. Also gerade zu Beginn der 2000er Jahre im d20-Boom kam echt viel unfassbar hässlicher Kram raus, aber ich denke, dass die aktuellen OSR-Produkte teilweise wirklich atemberaubend aussehen und sich nicht hinter dem Mainstream verstecken müssen. Alleine DCC oder Mörk Borg müssen nicht zwingen allen gefallen, aber sie gehen eigene Wege, fallen im Regal auf.
Und gerade nicht für jeden Kokolores eine Regel zu haben, beschleunigt ja das Spiel ungemein. Das ist es, was ich daran mag.
OSR propagiert DIY, ist hart und direkt und Schwarz auf Weiss. Ist OSR der Punkrock des Rollenspiels?
Puh. Wieder so ein Label mit dem ich mich schwer tue. Im Prinzip ist ja gerade alles außer D&D 5 «Punkrock des Rollenspiels» und ich glaube den Begriff kann sich keine kleine Sparte ans Revers heften. Es gibt ein paar OSR-Sachen, die andere Wege gehen, es gibt einige Indie-Sachen, die andere Wege gehen und laut und schrill sind und nur auf drei Akkorden basieren.
Vor allem ist ja schon «OSR» so unglaublich weit gefasst, da ist zwischen Pink Floyd (Swords & Wizardry Complete), Marillion (Old School Essentials), Motörhead (DCC) und den Ramones (White Hack) wirklich alles dabei.
Aber ist ein Dungeon nach dem anderen zu looten nach Jahrzehnten des Rollenspiels nicht irgendwann langweilig? Du hast doch bestimmt alles schon zigmal gesehen?
Schwer zu beantwortende provokante Frage. Ich habe schon viel gesehen. Ganz sicher. Aber zum einen spiele ich ja auch andere Systeme, Welten, Abenteuerarten und zum anderen kommt es ja auf die Zusammensetzung, auf die Kombination an. Und das Spiel «Ich und mein Charakter gemeinsam mit der Gruppe gegen die Welt, die uns nichts schenkt» macht auch in der tausendsten Ausführung noch Spaß. Zu versuchen, die Hintergrundwelt, die durch sie Spielleitung möglichst neutral präsentiert wird, auszutricksen, ist immer wieder eine schöne Herausforderung.
Alleine was du alles mit der klassischen 10-Fuß-Stange, einem Wasserschlauch und einem Beutel voller Murmeln anstellen kannst ist fast schon macgyveresk.
In meiner Rezension von Baphomet’s Sohn nannte ich dich den OSR-Papst. Ein englischsprachiger Ranter auf Reddit meinte dazu: «Wer soll dieser Mehlem denn überhaupt sein? Papst?! Den kenn ich doch gar nicht!» Deine Reaktion?
Naja, scheint einem anderen Glauben anzugehören. So sind sie, die DSAler. 😉 Da will ich ihn nicht direkt von oben mit einem Blitz abschießen lassen.
Warum gehts heutzutage im Rollenspiel immer öfter um Player Empowerment? Eigentlich braucht es doch im Rollenspiel jemanden, der den Ton angibt und das Ding durchzieht, nicht?
Das ist doch eine Falle, die ich 10 Kilometer gegen den Wind rieche. Haha! Der alte, weiße, geistig unbewegliche Mann hat einen Gott-Komplex und will die Spieler*innen nur immer quälen und unterdrücken.
Nee, nee, nee. Den Stolperdraht habe ich mit meiner 10-Fuß-Stange vermieden.
Aber wenn ich old-schoolig spielen möchte, dann will ich als Spielleitung neutral und ohne eigene Agenda die Welt darstellen und meine Spieler*innen durch ihre Charaktere vor Herausforderungen stellen. Da ist es dann so, dass der Raum genau beschrieben wird, damit die Gruppe schauen kann, wie sie die Umgebung für sich nutzt. In diesem Falle fände ich es unpassend durch eine PE-Maßnahme plötzlich einen Kronleuchter aus dem Nichts erscheinen zu lassen, an denen sich irgendwer entlangschwingt.
Spiele ich aber ein Spiel, das auf Action, auf coole Aktionen, auf abgefahrene Situationen abzielt, wie beispielsweise Troubleshooters, das mir gerade als Beispiel durch den Kopf schießt, dann macht es Spaß, die Spieler*innen eine gewisse Macht über die Umgebung oder gar die Welt zu geben. Da passt das super.
Insgesamt möchte ich die Bestrebungen Spieler*innen mehr Macht zu geben, absolut nicht missen, das ist ein wichtiges Element im Rollenspiel der letzten 10-15 Jahre.
In YouTube-Interviews hältst du ständig Bücher in die Kamera… Wie viel bedeutet dir deine Rollenspielsammlung?
Tatsächlich weniger als man vielleicht denken sollte. Es gibt einige Sachen, an denen ich schon hänge, aber ich bin gerade dabei die Rollenspiele und Brettspiele in meinen Regalen Stück für Stück etwas auszudünnen. Ich kann mich da aktuell sehr gut trennen, aber meine von Larry Elmore signierten Mentzer-D&D-Boxen werde ich wohl nie aus der Hand geben.
Okay – ich habe vermutlich auch so noch immer genügend Kram im Rollenspielkeller stehen, aber insgesamt ist es echt nicht so, dass ich da große Trennungsängste habe.
Findest du Entwicklungen wie One D&D prima oder eher weniger? Warum?
Äh. Keine Ahnung. Ich verfolge das nur am Rande. Ich mag ja alle Fassungen von D&D auf ihre Art (JA, auch D&D 4) und werde es mir ansehen, wenn es erschienen ist, ich gehe auch gerne mit, dass das Hobby immer weiter online statt am Spieltisch stattfindet – aber ich habe gut reden. Ich habe nen ganzen Keller voll mit Büchern und Dingen, die mich bis ans Ende meiner Tage beschäftigen können.
Was wolltest du der Rollenspiel-Community schon lange einmal sagen, was du bisher nicht gesagt hast?
Ach, ich glaube ich habe der Rollenspiel-Community schon genug gesagt. Vielleicht könnte ich sie bitten, beim Gratisrollenspieltag 2023 sowohl online als auch in den Läden ordentlich Betrieb zu machen.
Falls dir zu Frage 10 nichts in den Sinn kommt (oder auch so) darfst du gerne noch folgende Zusatzfrage beantworten: Spielt Moritz Mehlem auch mal Spiele wie Tails of Equestria oder Tales from the Loop oder würde das an deiner Street-Credibility kratzen?
Ich habe eine Street Credibility? Geil! Und wie gesagt. Ich spiele alles. Ich würde zumindest alles ausprobieren. Wenn es Spaß macht – gut. Wenn nicht – auch gut. Und gerade Tails of Equestria ist wirklich ein liebevoll designtes und gestaltetes System und der Deutschland-Band von Tales from the Loop ist ganz großartig.
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