Welches Rollenspielgenre sie am liebsten spielt, sagt einiges über eine Person aus. Dies ist der Versuch einer kleinen Typologie der Rollenspielenden – weder vollständig, noch objektiv.
Mir ist bewusst, wie viel Zündstoff in diesem Artikel steckt. Er ist nicht als Provokation gedacht, sondern ist eine gedankliche Auseinandersetzung damit, was unterschiedliche Genres und Settings im Rollenspiel ausmacht. Worin liegt die Faszination des Jeweiligen und warum spiele ich es?
Dabei kommen manche Genres und Spiele natürlich besser weg als andere. Das ist aber sehr subjektiv, sehr einseitig, denn ich bin ja nur einer. Der Artikel hat keinen Anspruch auf Wahrheit. Ich freue mich auf Kommentare, in denen ihr euer Lieblingsgenre verteidigt.
Dungeons & Dragons
Hat viel mit Ermächtigung zu tun. Das gilt nicht für alle, die D&D spielen. Doch ich habe schon so manche Spielerin kennengelernt, der es darum ging, die Sau rauszulassen. «Break the game», scheint die Devise zu lauten. D&D ist unter anderem für Rampensäue, die DSA nicht mehr verstehen und sich über «Flim Flam Flunkel» lustig machen, obwohl es einmal fast das gleiche Spiel war.
Gibt es noch Menschen, die einen einfachen Menschenkrieger in D&D spielen? Oder ist das Ziel meistens, sich einen ganz besonderen und hyperfähigen Exoten zu zimmern, der eigentlich die Hauptrolle spielen müsste, sollte dieser Rollenspielabend je verfilmt werden? «I am special and I do crazy shit.» Das ist für viele die heutige Faszination von D&D. Dungeons und Dragons explodiert.
OSR
Old School Roleplaying ist für Problemlöser. Ich, der Spieler oder die Spielerin, ziehe los als mein Alter Ego und löse Aufgaben. Am Ende kriege ich dafür Gold und Juwelen als Belohnung. Das ist wie Arbeit. Ich leiste etwas und bekomme etwas dafür.
Ich fasse mit OSR alles zusammen, was Dungeon Crawl sowie Metzeln und Looten beinhaltet. Alles, das einen Ten-foot-pole benötigt. Wo Türen geöffnet, Fallen entschärft und Truhen aufgestemmt werden. Egal ob DCC, Sword & Sorcery oder Warlock! Straighte, einfache, direktübersetzte Rollenspiele sind gemeint.
Das Erkunden von Dungeons ist das 1W6-HeroQuest-Gefühl in Sachen Rollenspiel. Hier eine Falle, da ein Zombie, hier eine Schatztruhe – da weiss man, was man hat. OSR ist das Schinkensandwich unter den Rollenspielen. OSR-Rollenspiel ist so solide wie ein Backstein.
Cthulhu & anderer Horror
Hier passiert über lange Strecken nichts. Es wird mit NSC geredet, es wird untersucht und recherchiert und geforscht und gelesen. Als ich mir ein bekanntes One-shot-Abenteuer zum Lesen vornahm, dachte ich mir: «Diese Handlung ist von den Spielenden ja in zehn Minuten durchgespielt!» Erst als ich mir das Let’s Play der Alriks zu dem Abenteuer ansah, merkte ich: «Das ist Rollenspiel!» Bei Cthulhu geht es um die alltäglichen Handlungen von Sir Lord von Very Rich. Wie er sich in Gesellschaft gibt, welchen Wein er trinkt und wie er seine Taschenuhr aufzuklappen pflegt.
Es geht um das immersive Spiel, wie ich es zum Beispiel DSA attestieren würde. Es geht um die kleinen Dinge, die uns nur sanft kitzeln, statt in die Fresse hauen. Ein Amulett, das plötzlich seltsam schimmert? Das ist es doch wert, untersucht zu werden.
Dabei würde ich es hart abgrenzen von Horror-Filmen und -serien. Es geht nicht um «Jump Scares» und nicht um Splatter-Szenen. Dennoch sind Cthulhu-Spielende gerne harte Kerle (ja, auch die Damen) und gleichzeitig sind sie jederzeit bereit, dem Schicksal die Kehle hinzuhalten und sich beissen zu lassen. Cthulhu explodiert nicht, Cthulhu schleicht.
Kinderspiele
Hier nehme ich mal alles zusammen, was nicht per se «cool» ist. D&D zu spielen ist hip. Früher war man Aussenseiter, wenn man das spielte, jetzt ist man schräge Avant Garde, wie einmal die Leute von der Kunsthochschule. Wer Cthulhu spielt, spielt Horror. Da fühlt man sich schon krass, wenn man das erzählen kann. Wer Science Fiction spielt, der versteht sich mit Philosophie, Technologie und Kriegsführung: Ich befasse mich mit Zukunftsszenarien, ich bin euch einen Schritt voraus.
Die «Kinderspiele», wie ich sie hier nenne, haben wenig «Cooles» an sich. Es sind märchenhafte Rollenspiele, Fabelwelten wie Humblewood, Kinderrollenspiele wie «Tales from Equestria» oder nicht tödliche Kindereien wie Tales from the Loop oder Äventyr.
Menschen, die das spielen, fühlen sich nicht cool oder stehen über den Dingen. Eines von beiden. Sie mögen echtes Rollenspiel und mögen magische Fantasiewelten, wie die Filme von Studio Ghibli. Hier geht es um das Erlebnis und die Immersion, nicht um Coolness. Solche «Kinderspiele» sind das Äquivalent zum früheren Spielen mit Lego oder Playmobil in unserer Kindheit.
Dystopische Rollenspiele
Die Welt geht unter, die Zombies kommen, die Seuche rafft die Menschheit dahin, die Skaven überfallen Altdorf. All das ist düstere Hoffnungslosigkeit, Tod und Verderben und wir sind mittendrin, um den Untergang wenigstens ein bisschen hinauszuzögern. Denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Hier sind wir zwar Helden, aber tragische. Wir sind nicht übermächtige Muskelberge in Capes oder glänzender Rüstung, sondern einäugige Veteranen, die ihre schartige Axt ein letztes Mal in den Kampf führen. Oder Verzweifelte, die bereits ihre Lieben und alles im Leben verloren haben und ihr Leben für einen letzten Widerstand, ein letztes Aufbäumen aufs Spiel setzen. Herr der Ringe (das Buch, die Filme, nicht das Rollenspiel), Warhammer aber auch The Walking Dead oder Mutant: Year Zero gehören für mich hier hinein. Und obwohl dies völlig verschiedene Settings sind und auch andere Spielgefühle verkörpern, haben sie für mich alle diese Schwere von «alles ist aussichtslos, aber wir dürfen die Hoffnung und den Glauben an das Gute nicht aufgeben». Solange wir atmen, ist eine Wende zum Guten möglich.
Postapokalypse, Dystopie und Weltuntergangsszenarien sind die Gelegenheit für Unscheinbare, die tief in ihrem Innern einen leuchtenden Kern zu haben glauben. Dystopische Rollenspiele sind für ungeschliffene Diamanten.
Science Fiction
Ich habe keine Faszination für Science Fiction. Denn es ist steril. Dabei gibt es durchaus Module, die mich begeistern, wie zum Beispiel Ad Astra für Mutant Year Zero. Aber glatte Wände in Raumstationen, zischende Türen, schlichtes Design, Elektronik, die keiner versteht und die unendliche Leere des Weltraums finde ich langweilig. Sowieso, wenn ich stattdessen verschnörkelte Gebäude, Klingen und Rüstungen, volle Städte, tiefe Dschungel und unendliche Höhlensysteme haben kann.
Doch haben mir letztens zwei Herren eine Stunde lang vorgeschwärmt, weshalb Science Fiction mehr hergibt, als Fantasy. Und ich habe sogar verstanden, was sie meinten, wenn ich ihre Ansicht auch nicht teile. Ich versuche hier so gut, wie es geht, wiederzugeben, was sie argumentierten: Fantasy ist ausgelutscht und immer wieder mehr vom Selben. Science Fiction kann alles, was Fantasy kann, aber eben auch noch Zukunft und Technologie. Es kann Gedankenspiele von einer Zivilisation, wie sie noch nicht ist, aber irgendwann vielleicht sein wird. Es beschäftigt sich mit der Entwicklung der Gesellschaft und dem Sein und der Bedeutung und dem Untergang von uns selbst.
Menschen, die gerne Science Fiction mögen, sind gerne anderen voraus. Gedankliche Vorreiter, Innovatoren, statt nur Early Adopter. Science-Fiction-Rollenspiel ist anthropologisch-philosophisches Spiel.
Ein Wort zum Schluss
Das hier Geschriebene mag dir völlig random erscheinen. Es ist spontan entstanden, nicht gut begründet und schon gar nicht allgemeingültig. Ich freue mich auf deine zwei Cents zum Thema. Und freue mich über Ergänzungen, Korrekturen, zustimmende Worte und wütende Hasskommentare. Es lebe die Vielfalt des Rollenspiels!
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