Kampagnen sind ein völlig anderes Ding als One-shots. Ich möchte nur noch lange Kampagnen spielen.
Im Englischen gibt es das von Matt Mercer so viel genutzte «Longform Storytelling». Nicht nur klanglich ein schöner Ausdruck, wahrscheinlich auch der Ausdruck, der für das dicke Buch namens «Herr der Ringe» erfunden wurde. Es wird gemächlich und ausführlich erzählt, die Geschichte breitet sich langsam vor dem inneren Auge aus. Mit Freude, Musse und Zeit. Wunderbar.
Leider gibt es für diesen wundervollen Ausdruck «Longform Storytelling» im Deutschen keine Entsprechung. «Langzeit-Geschichtenerzählung»? Irgendwie nicht. Dasselbe gilt auch für das weniger schöne, aber knackige «One-shot». Wir spielen heute einen «Einzelschuss»? Meh!
Unterschied One-shot und Kampagne
Kampagne vs One-shot: Wo liegt der Unterschied? Offensichtlich liegt der Unterschied in der Länge des Plots, in der Anzahl der Sitzungen und auch in der Möglichkeit der Charakterentwicklung. Aber das «Coole» an einer langen Kampagne ist die Dichte an Informationen, die Menge an Erinnerungen, die zurückbleibt. Das ist, wie der Unterschied zwischen einem langen Wochenende und zwei Monaten Urlaub. Manchmal sogar zwischen drei Wochen Sommerferien und einem Jahr Weltreise. Es ist, wie der Unterschied zwischen einem Foto und einem Video. Oder wie der Unterschied zwischen einer «Mini-Serie» mit manchmal nur einer Folge und einem dreistündigen Kinofilm.
Lange Kampagne als GM
Als Spielleiter ist es mindestens so unterschiedlich. Die schiere Menge an Informationen und Details ist bei einer jahrelangen Kampagne nicht zu überblicken. Auch wenn ich den Teil des Abenteuers schon sieben Mal durchgelesen habe, konnte ich noch immer nicht alles verstehen, geschweige denn memorisieren. So viel ist abhängig davon, ob die Spielenden etwas tun oder auslassen werden. Ob sie es friedlich oder gewaltsam lösen. Wie sie die Weichen stellen. Dinge, die sie jetzt tun, und wie sie sie tun, werden unter Umständen Einfluss auf die Geschichte in vier Monaten haben. Das zusammenzuhalten und nicht zu vermasseln, kostet eine Menge Zeit, Energie und Herzblut. Selbst, wenn die Geschichte vorgegeben und gekauft ist.
Lange Kampagne als SC
Ein Charakter hat in einer langen Geschichte nicht nur Zeit, sich zu entwickeln, er hat auch mehr Bedeutung und Gewicht. Er lebt. Während es bei einem One-shot so ziemlich keine Rolle spielt, was der Charakter hergibt. Beim One-shot fährt man ihn gegen die Wand, so what? In einer Kampagne hütet man den Charakter wie seinen Augapfel. Schliesslich hat man ja noch so einiges mit ihm vor. Und er hat doch auch schon so viel erlebt. Er hat Erinnerungen gesammelt und generiert, er hat Beziehungen geknüpft und er hat Dinge vollbracht, die Anerkennung verdienen. Wenn er einmal gehen soll, dann lieber in den Ruhestand als ins Jenseits.
Beziehung vs One-Night-Stand
Kampagne vs One-shot. Spielt man als Gruppe eine ausgedehnte Kampagne, wächst man zusammen, lernt sich kennen, erlebt denkwürdige Momente. Spielt man einen One-shot geht das mehr so «kaboom» und dann «adieu, merci!», wie man bei uns sagt. Der Vorteil davon ist, dass Schreckliches ein schnelles Ende hat, der Nachteil natürlich, dass sich nichts entwickeln kann.
One-shots sind gut, um auszuprobieren. Das ist wie eine Testfahrt mit einem potenziellen, neuen Auto. Einmal um den Block, keine Verpflichtung. Und genau hier komme ich mit meiner Wertung ins Spiel. Ich mag Verpflichtung. Jede Woche mit wechselnder Besetzung ein anderes System anzutesten enspricht unserem Zeitgeist, aber über zwei Jahre mit denselben Leuten eine tiefe Geschichte langsam zu entwickeln – that is the real deal.
Gäbe es nur One-shots, ich würde kaum Rollenspiel spielen. Das ist wie ein Brettspielabend, unterhaltsam, unvorbereitet, unverbindlich. Aber eine Kampagne, eine Kampagne ist etwas Verbindliches, das viel «Involvement» und «Commitment» erfordert. Zwei Dinge, die ich gut finde und für die es genauso wenig eine perfekte deutsche Entsprechung gibt, wie für «Longform Storytelling».
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