Das Virtual Tabletop von D&D erscheint bald und wird eine weitere Art Rollenspiel zu spielen bringen. Das macht mir mehr Kopfschmerzen als Freude.
In 2024 feiert Dungeons & Dragons den 50. Geburtstag. Es wird ein paar Regeländerungen geben und die unendliche Edition wird erscheinen, unter anderem sehr digital. Das Virtual-Tabletop-Programm von und für D&D wird revolutionär. Oder doch nicht? In der Google-Bildersuche zu OneDnD VTT erscheinen unter anderem Bilder mit diesen Texten:
- “It’s not good.”
- “Worse than you think…”
- “Prepare for hot garbage.”
Dann sah ich da einmal dieses Bild. Spielerinnen und Spieler, die um einen Tisch sitzen und Dungeons & Dragons spielen. Soweit so gut, nur, dass jede Person vor sich ein Notebook stehen hat, auf dem sie die digitalen Minis, die Würfel und die Maps betrachtet.
Sobald ein Kampf losgeht, ist es also mehr wie eine LAN-Party, als wie ein Tabletop-Rollenspiel, bei dem ich auch im Kampf dem anderen ins Gesicht sehe. Ich habe das in einem grossen Forum zur Sprache gebracht und bekam etwas Gegenwind. Da kamen Stimmen auf, wie
- Das kannst du doch nicht verhindern!?
- Wo liegt das Problem?
- Es gibt eben «Techniker» und «Reintischler»
Nein, ich kann das nicht aufhalten, das ist mir klar. Ich kann es nicht einmal verlangsamen. Wozu auch? Weder Smartphones, noch das Internet, noch Künstliche Intelligenz oder Virtual Tabletops. Ich verteufle es auch nicht komplett. Ich will nur sagen, statt blinder Freude über neue Möglichkeiten, mache ich mir auch Sorgen über ungewollte oder für mich persönlich negative Veränderung. Denn es wird das Spiel verändern und es wird neue, ungeahnte Möglichkeiten mit sich bringen. Was grundsätzlich gut ist. Wäre nie etwas Neues gemacht worden, hätten wir heute auch kein Rollenspiel. Was jammerschade wäre, da sind wir uns einig.
Dennoch…
Ich bin eher ein Bewahrer dessen, was subjektiv gut ist. Das bin ich viel mehr, als ein progressiver Lasst-uns-mal-ausprobieren-und-sehen-was-dabei-herauskommt-Mensch. Darum sehe ich neue Technologien kritisch. Nicht negativ, aber kritisch. Damit will ich sie nicht schlecht machen, davor warnen oder sie verhindern. Aber ich möchte auf mögliche Veränderungen hinweisen, auf allfällige Verschlechterungen des Status Quo. Ich möchte sagen dürfen: «Ich habe etwas Angst, dass das, was ich an Rollenspiel so liebe nur noch mit mehr Mühe, Aufwand und Komplikationen möglich ist.»
Ein Beispiel
Sagen wir, ich habe in meinem Umfeld dreissig rollenspielende Menschen. Davon spielen vielleicht gerade einmal zehn Personen miteinander kompatible Sachen. Weil die einen mehr auf Gemetzel stehen, die anderen auf High Fantasy, die nächsten auf spielleiterlose Erzählrollenspiele und die anderen sowieso lieber Brettspiele, wenn es hart auf hart kommt. Einer spielt am liebsten nur online und mit Menschen aus Deutschland, eine andere spielt nur OSR. Eine mag keine Spiele, die harmlos sind und in denen nicht gekämpft und gestorben wird und einer spielt nur auf Englisch. Zwei drucken und bemalen selbst Miniaturen. Einige mögen nur reines Kopfkino, das Theater of the Mind. Eine mag keine Piratensettings und ich bin nicht so der Science-Fiction-Liebhaber. Einer würde gerne mit uns spielen, fährt aber nicht so weit, um nach der Arbeit in einer fremden Stadt an einem fremden Tisch zu sitzen. Alleine dabei wird es schon extrem schwierig, Runden zusammenzustellen, in denen alle glücklich werden. Dazu kommen noch soziale und psychologische Schwierigkeiten wie
- Der nimmt zu viel Screentime ein
- Ihr Spielstil ist mir zu goofy
- Er ist ein Murderhobo
- Ich mag es nicht, dass er immer sein Handy anlässt
- Ihr Freund spielt gar nicht richtig mit
Was ich damit sagen will, ist…
Alle sollen das spielen können, was sie sich wünschen. Und es so spielen können, wie sie es sich wünschen. Das ist ja auch das Tolle am Pen-and-paper-Rollenspiel. Aber… Je mehr Genres, Spielweisen und technische Neuheiten dazukommen, desto mehr verliert sich alles im Detail. Das ist alles. Alles, was ich sagen will.
OneDnD VTT ist toll, sieht klasse aus, bringt zusätzlich eine neue Art von Rollenspiel. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Wenn jedoch zwölf der dreissig Leute in meinem Umfeld darauf umsteigen und keine Lust mehr auf Tischrunden mit Büchern und Plastikwürfeln haben, dann spaltet sich die potentielle Spielerschaft entzwei.
Und anders als bei der Diskussion, ob jemand ein Notebook anstelle eines Blattes Papier an den Tisch nimmt, können nicht die einen am Tisch den Kampf im Virtual Tabletop simulieren und die anderen einfach die Minis auf der Battle Mat rumschieben. Hier braucht es eine Entscheidung für oder gegen etwas. Das bedeutet: Wenn ich mitziehe, verliere ich Spielfreunde und wenn ich nicht mitziehe auch. Und das – finde ich schade.
Das hat nichts mir der Güte von OneDnD zu tun und nichts damit, ob das Geschäftsmodell sympathisch ist. Es ist einfach nur die Angst, noch weniger Rollenspielmenschen um mich zu haben.
Damit habe ich kein Problem
Hast du seit zwanzig Jahren deine fixe Runde und ihr wollt sowieso immer alle dieselben Sachen spielen, dann betrifft dich das nicht. Ihr seid euch einig und Freunde? Hast du um dich herum zehntausend Rollenspielende zur Auswahl? Dann betrifft dich das auch nicht. Du suchst dir einfach eine neue Gruppe mit Leuten, die dasselbe wollen, wie du. Aber viele von uns betrifft es eben. Diversifizierung und Spezialisierung in einem Hobby mit nur wenig Teilnehmenden führt zur Zersplitterung. Darum sehe ich dem abgefahrenen, hochmodernen VTT OneDnD mit gemischten Gefühlen entgegen.
Ich erfreue mich weiter an wertigen Büchern, teuren Würfeln und selbstgebauten Landschaften, die auf unserem Esstisch stehen. Ich will weiterhin basteln, malen, schreiben, dichten, komponieren, entwerfen, texten und ausschneiden. Weil ich das geübt habe, weil ich das gut kann, weil es mir Spass macht und ich das liebe. Es macht in etwa ein Drittel der Freude aus, die Rollenspiel mir macht. Und die lasse ich mir nicht nehmen. So wenig, wie meine Fantasie.
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