Cthulhu Die Mutprobe

Cthulhu, Die Mutprobe (Rezension)

Wer wie ich die Rollenspiele Cthulhu und Tales from the Loop liebt, muss «Die Mutprobe» einfach gernhaben. Kindlicher Halloween-Grusel in einem leerstehenden Haus.

Cthulhu für einmal in den 1980er-Jahren und zwar als Kinder kurz vor der Pubertät. Schon die Farbigkeit der Cover-Illustration erinnert an Tales from the Loop (They Grow Up So Fast). Farbiger Himmel kurz vor Sonnenuntergang und eine Gruppe abenteuerlustiger Kinder, die in Halloween-Verkleidung erwartungsvoll mit dem Rücken zur Leserschaft dastehen und in die Landschaft blicken. Nun ja, in diesem Fall an ein gruseliges, klappriges Haus.

Diese Rezension ist weitestgehend spoilerfrei.

Halloween ohne Halloween

Dieses Buch ist die 2024er-Ausgabe der Halloween-Reihe von Pegasus, nur dass dieses Mal glücklicherweise auf den seltsamen Halloween-Titel verzichtet wurde. Die Handlung spielt auch an Halloween, irgendwann in den 80ern, allerdings spielt das in diesem Szenario eine sehr untergeordnete Rolle.

Bekanntes Terrain

Wir spielten Cthlulhu «Die Mutprobe» am 31. Oktober und es ist schon immer besonders, wenn ein Abenteuer einen Echtweltbezug hat, sei es Ort oder Zeit. Auch kenne ich die Erfahrung, als Kind in leerstehende, alte, gruselige Häuser einzusteigen. Eines dieser Häuser hat es deshalb sogar zu einer Erwähnung in meinem im Frühling im Handel erscheinenden Roman «Ausgeartet» geschafft. Durchgebrochene, baufällige Böden, Dreck und Ungeziefer, schlimme Geschichten über seltsame Gestalten, die ein- und ausgehen… Wunderbar!

Kidhulhu

«Die Mutprobe» wird mit vereinfachten Fertigkeiten gespielt, die die Welt der Kinder abbilden sollen. So heisst «Verborgenes erkennen» hier «Kram entdecken» und «Mechanische Reparaturen» heissen «Kram flicken». Zehn vorgefertigte Kindercharaktere im Alter von zehn bis zwölf warten darauf gespielt zu werden. Wie bei Tales from the Loop entsprechen sie den kindlichen Schularchetypen wie «die Sportskanone», «der komische Typ» oder der «Bücherwurm». Berufe haben sie ja noch keine, über die man sie definieren könnte.

Rated R

Schlüsselszenen von «Die Mutprobe» sind in zwei Versionen aufbereitet, nämlich «Ab 12» (rated PG) und «Ab 18» (rated R). Dementsprechend sind die härteren Beschreibungen expliziter und massieren gekonnt die Magengegend, wenn man sich darauf einlassen will und ein gutes Vorstellungsvermögen besitzt.

Eine Session, basta!

«Die Mutprobe» ist ein Turnier- und Convention-One-shot, was immer das auch heissen mag. Auf Englisch gab es ihn schon länger, auf deutsch ist er dieses Jahr bei Pegasus Spiele erschienen. Gespielt werden kann das Abenteuer in gut 4 Stunden, in gemächlichem Tempo ist es eher mehr.

Zum Inhalt

Der Softcoverband enthält sage und schreibe 76 Seiten Inhalt, einschliesslich der 10 Charakterblätter und vielen Bodenpläne des Hauses. Das Abenteuer ist sehr detailreich erklärt. Das ist toll zum Lesen und übel zum Leiten. Ich habe viele Stunden damit verbracht, es immer wieder zu lesen und verstehen zu wollen. Hast du es erst einmal geleitet, ist die Anlage relativ einfach und die wichtigen Ecken im Haus sind schnell eingeprägt. Es ist ja nur ein Handlungsort…

Denkwürdigster Moment

Abenteuer und Kampagnen haben oft diese Schlüsselmomente. Und zwar nicht die, die in der Kampagne vorgesehen sind, sondern die, welche sich aus absurden Ideen und verpatzten Würfelwürfen ergeben und dadurch in Erinnerung bleiben. Und auch wenn es auf dieser Fotografie nicht creepy oder lustig aussieht, war das unser Moment: Woody lag mit geladenem Luftgewehr und Wahnvorstellungen röchelnd auf dem dreckigen Boden, während die anderen Drei versuchten, ihn einen okkulten Text lesen zu lassen, weil er der Einzige war, der das konnte.

Die Bewertungskriterien

Ich werde nun ein paar Kriterien nennen, beschreiben, wie das Abenteuer sie erfüllt und für jedes Kriterium eine Bewertung von 1 bis 10 abgeben. Die Kriterien lauten: Atmosphäre, textliche Aufmachung, bildliche Aufmachung, Gruselfaktor, Komplexität, Originalität und Gesamteindruck.

Atmosphäre (7/10)

Noch nie habe ich so eine Dichte an Sanity-Proben erlebt. An jeder Ecke drohen die Kids aus den Latschen zu kippen. Das macht sehr viel Sinn, hilft dem Gefühl der Machtlosigkeit, kann aber die Spielenden zermürben. Von Beginn an haben wir ständig Proben gewürfelt, um zu sehen, was entdeckt, was geschafft und was gemacht wird. Das sieht das Buch so vor.

Alles in den Beschreibungen trieft vor Schimmel, stinkt vor Fäulnis und verbreitet Übelkeit. Bis über den persönlichen Schwellenwert einer/eines jeden. Das schafft eine unglaublich dichte Atmosphäre des flauen Magens, nutzt sich aber mit den Stunden ein wenig ab.

Textliche Aufmachung (6/10)

Die Texte sind relativ logisch und chronologisch aufgebaut. Man kann der Geschichte folgen, nur die Fülle an Beschreibungen verunmöglicht es, sich alles zu merken. Der Schwachpunkt des Buches: manche Orte im Haus machen keinen Sinn, Beschreibungen stimmen nicht mit den Bodenkarten überein. Das benötigt Überarbeitung und/oder Improvisation.

Bildliche Aufmachung (8/10)

Sehr toll, weil Illustrationen. Wie schon an anderer Stelle erwähnt, mag ich eigens für ein Abenteuer erstellte Illustrationen lieber als alte Fotos, die nicht immer ganz zu den Personenbeschreibungen passen. Aber selbst hier gibt es Unstimmigkeiten: eine der Hauptpersonen wird auf ihrem Bild mit zahlreichen Narben dargestellt, was sie sofort verraten würde und deshalb keinen Sinn macht.

Gruselfaktor (9/10)

Enorm hoch, wenn man sich der Geschichte hingibt. Alles ist verdorben, der Handlungsspielraum von Kindern ist doch sehr eingeschränkt, Hilflosigkeit ist das Schlüsselelement, keiner kann sagen, wer die Morgenröte noch einmal sehen wird.

Obwohl gruselig zu sein ein USP von Cthulhu ist, ist dieses Szenario so hässlich wie kein zweites, das ich kenne. Naja, vielleicht «Abwärts». Es ist nicht alt und verschwörerisch es ist schimmelig, verrottet und unmittelbar. Das drückt schon reichlich oft auf den Nerv und die Magengegend. Ausser man hat «IRL emotions armor».

Komplexität (5/10)

Das Abenteuer ist für die Spielenden simpel, weil es «nur» ein Haus zu erkunden gibt. Kein Herumreisen und keine Bibliotheksnutzung. Immer straight forward. Für die Spielleitung ist «Die Mutprobe» ein anderes Kaliber. Ich wiederhole: hast du es schon geleitet, wird es dir leichtfallen, es wieder zu leiten. Beim ersten Mal ist es gar nicht so einfach, die vielen Informationen, Räume und Werte zu jonglieren.

Originalität (8/10)

Ich liebe den Kinder-in-den-80er-Jahren-Ansatz. Und ich kenne kein vergleichbares Cthulhu-Abenteuer. Sehr eigenständig. Spoiler: Mein Lieblingsabenteuer wird es nicht, aber dies aufgrund der Stimmung, nicht aufgrund mangelnder Originalität.

Gesamteindruck (7/10)

Es macht das, was Cthulhu soll und will, enorm gut. Genau das ist aber auch das Zermürbende und Bedrückende an dem Abenteuer. Es gab weniger Spass- und Lachmomente als wir es sonst bei Cthulhu haben. «Ist ja auch nicht der Sinn von Horror», kann man da sagen – und hat natürlich recht. Als Spielleitung muss man dieses kinderquälende Sadistengefühl und als Spielende das Gefühl der absoluten Ohnmacht mögen und aushalten. Was bleibt, ist ein denkwürdiges, einprägsames Ereignis. Ob es einem gefällt, hängt von sehr, sehr vielen Faktoren ab. Ist es ein eigenständiges, handwerklich gut gearbeitetes Abenteuer? Auf jeden Fall. Macht es richtig Spass es zu leiten und zu spielen? Es kann, aber es muss nicht.

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