Candela Obscura ist ein Horror-Rollenspiel des Critical Role Verlags Darrington Press und wird mit dem System Illuminated Worlds gespielt, das aus dem gleichen Hause stammt.
Nun ist es da. Erstmalig bringt Critical Role ein eigenes Rollenspiel und das auch noch auf einem eigenen System. Wir haben darüber berichtet. Auf der Website von Darrington Press kann der Quickstart Guide heruntergeladen werden. Ich habe ihn hier verlinkt. Dafür muss man nicht seine Seele verkaufen, aber seine E-Mail-Adresse angeben.
Candela Obscura
Was mir auffällt, ist, dass das PDF sehr strukturiert und knapp gehalten ist. Im positivsten Sinne. Das schwierigste an Kommunikation ist, alles Unnötige wegzulassen. Hier habe ich von Anfang an das Gefühl, dass es ziemlich auf den Punkt gebracht ist, visuell wie auch inhaltlich. Das liegt natürlich daran, dass Critical Role keine One-man-show, sondern ein Rollenspiel-Unternehmen ist und ein PDF-Design mit Logo-Entwurf etc. einfach mal mehrere tausend Dollar kosten darf. Aber das ist ja am Ende, was wir wollen: wertige Ware.
Candela Obscura heisst zwar das Spiel, doch es ist gleichzeitig eine paranormale Geheimgesellschaft im Spiel und irgendwie auch eine Geheimpolizei, denn ihre Aufgabe ist es, die Monster zu bekämpfen, die aus einer Paralleldimension in die Spielwelt herüberschwappen. Und auch hier: Was formal mit Text und Gestaltung auf den Punkt gebracht wird, gelingt mitunter in der Erzählung, im Konzept.
Und ich glaube, darin liegt die Stärke von Critical Role überhaupt: es werden gute Begriffe und Namen gefunden, die uns allen etwas sagen; sie werden gut eingesetzt, am richtigen Ort. Sofort hat man als Leser eine Vorstellung von dem, was da steht. Es gibt kaum Verwirrung, nur ein Aha. Wenn ich das lese, habe ich Lust es zu spielen.
Illuminated Worlds
Das System von Darrington Press, beziehungsweise Critical Role, heisst Illuminated Worlds. Es soll im Gegensatz zum ebenfalls bald erscheinenden Daggerheart eher für kurze Kampagnen und One-shots dienen. Das System wurde im Zusammenhang mit Candela Obscura erstmals öffentlich.
Jede Spielerin und jeder Spieler braucht neun sechsseitige Würfel. Drei davon sollen sich in der Farbe von den anderen sechs unterscheiden. Ist der Ausgang eines Vorhabens im Auge der Spielleitung ungewiss, wird gewürfelt. Bei einem Ergebnis von eins bis drei gilt der Wurf als misslungen. Du erreichst nicht, was du wolltest, und es folgen Konsequenzen. Bei einem Ergebnis von vier oder fünf ist der Wurf ein gemischter Erfolg. Du hast erreicht, was du wolltest, aber es hat seinen Preis. Bei einem Ergebnis von sechs ist der Wurf ein voller Erfolg. Du bekommst, was du willst, ohne grössere unbeabsichtigte Konsequenzen. Bei mehreren Sechsen ist der Wurf ein kritischer Erfolg. Du bekommst, was du willst, und mehr.
Gewürfelt wird der sogenannte Würfelpool. Dein Pool kann bei keinem Wurf mehr als sechs Würfel beinhalten. Die andersfarbigen Würfel sind die goldenen Würfel. Entscheidest du dich einen solchen mitzuwürfeln, kannst du das Resultat dieses Würfels wählen, auch wenn er nicht den höchsten Wert des Wurfes zeigt. Damit gewinnst du etwas zurück. Hier die Details zu erklären, würde den Rahmen sprengen. Es geht darum, ein Gefühl dafür zu kriegen, was für eine Art System Illuminated Worlds ist. Ein narratives, würde ich sagen.
Charakterklassen
Die Investigatorentypen beschränken sich auf Face, Muscle, Gelehrter, Schleicher und Sonderling. Dies frei aus dem Englischen übersetzt oder eben nicht. Wer das Face spielt, kann zwischen Journalist und Magier als Subklasse wählen. Wer den Muscle spielt, hat die Wahl zwischen Entdecker und Soldat. Wer den Gelehrten wählt, kann Doktor oder Professor sein, wer sich für den Schleicher entscheidet, ist Krimineller oder Detektiv. Und zum Schluss: wer den Sonderling nimmt, ist ein Medium oder ein Okkultist.
Candela Obscura Abenteuer
Im Candela Obscura Quickstart Guide ist ein Abenteuer enthalten. Extrem stimmig und schön illustriert, nicht zu viel, nicht zu wenig. Die Illustrationen wirken nicht zusammengesucht, sondern passen gut zueinander, haben eine Linie. Hier kommt wieder die Erfahrung zum Vorschein, hier spürt man die jahrelange Auseinandersetzung mit Rollenspiel. Wer Know-how, Geld, Zeit und Energie in Pen and Paper stecken kann, bringt richtig solides Material an den Tag. Bei den Karten spürt man den D&D-Bezug, bei den PDF-Layouts hat man das Beste von Cthulhu abgeguckt.
Noch vor dem eigentlichen Abenteuer gibt es ein Kapitel zur Welt und den Organisationen, die es gibt. Einen Kurzbeschrieb des Settings. Das Abenteuer selbst, das den Namen «Dressed to Kill» trägt, kommt mit einer Content-Warnung «Body Horror» daher. Das Abenteuer hat eine schaurige Premisse, die zwar unrealistisch erscheint, aber angeblich auf einer wahren Begebenheit beruht.
Auch hier wieder: Die Atmosphäre des Abenteuers in einer Stichwortaufzählung einzuleiten… da tanzt mein Kommunikationsherz vor Freude Polka. Das ist so einfach, wie wirksam, wie genial. Die Abenteuerentwicklung folgt in logischen, einfachen Schritten, die Auflösung beziehungsweise Lösung wird offen gelassen, aber so, dass Gestaltungsfreiraum bleibt und nicht so, dass die Spielleitung einfach aus Faulheit der Autoren alleingelassen wird. Ich bin begeistert.
Fazit
«Die Rollenspielwelt revolutionieren wird es nicht», las ich als eine Meinung zu Candela Obscura. Das vielleicht nicht, aber es ist verdammt solide Arbeit, muss ich gestehen. Irgendwie ist in diesen heutigen Tagen oft «gut» der neue Nullpunkt und «sehr gut» ist das neue «geht so». Das wird allerdings nur vergeben, wenn die Leute über ihre Erwartungen hinaus überrascht werden, das Rad neu erfunden wird, alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt wird und es dann auch noch alle Geschmäcker trifft. Sobald es dann aber alle Geschmäcker trifft, ist es auch wieder Mainstream und deshalb uninteressant.
Das System wird die Rollenspielwelt vielleicht nicht revolutionieren, nein. Hätte mich auch sehr überrascht. Aber es ist gut und sehr passend, soweit ich das jetzt schon beurteilen kann. Und das, was mich am meisten überzeugt, ist die Erzählweise des Abenteuers, die Aufmachung und Strukturiertheit. Es ist verdammt gutes Storytelling und grossartiges Layout, gekonnte Strukturierung des Materials, Überflüssiges wurde weggelassen, unbedingt Nötiges nicht fälschlicherweise weggeworfen. So muss ein Produkt designt sein.
Candela Obscura ist ein hübsch gestaltetes, gut durchdachtes System und Setting, das aus einem Guss daherkommt und hat damit schon mehr erreicht, als so manch ein anderes neues Spiel. In Sachen Konzept und Kompositionen braucht es sich vor den Grossen Alten nicht zu verkriechen und das Abenteuer ist in seiner Kürze und Knappheit überdurchschnittlich gut aufgemacht, erklärt und komponiert. Ich bin kein Critter und kein unkritischer Critical-Role-Fan. Doch ich gebe Candela Obscura definitiv eine Chance, weil es meinen Nerv trifft, und freue mich auf offizielle Veröffentlichtungen davon. Ich werde es gerne spielen.
Lies dazu auch «Critical Role’s Cthulhu heisst Candela Obscura» und «Critical Role bringt eigene Rollenspielsysteme»
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