Candela Obscura ist das Mystery-Rollenspiel von Darrington Press, dem Verlag von Critical Role. Es orientiert sich regel- wie setting-technisch stark an bekannten Vorbildern.
Während Daggerheart das Dungeons & Dragons von Critical Role ist, ist Candela Obscura deren Call of Cthulhu. D bleibt D und C bleibt C. Das eine ist High Fantasy und das andere ist Grusel-Mystery.
Pegasus Spiele bringt Candela Obscura auf Deutsch raus, ein Spiel, das sich gefühlt zwischen Cthulhu, Blades in the Dark, Rivers of London und Private Eye platziert.
Jahrhundertwende, Anderswelt, bisschen Dampfmaschinen-Punk, Mystery und Investigation. Alles daran soll, müsste, will mir gefallen.

Unsere Welt mit Magie
Dass Candela Obscura eine „fiktive Welt“ darstellen soll, die aber unglaublich stark unserer Welt um die Jahrhundertwende ähnelt (Weltausstellung und so), ist Blendwerk. Es ist unsere Welt mit ein paar Änderungen. So wie bei Harry Potter. Und statt kosmischem Horror, wie bei Cthulhu, gibt es Horror aus einer anderen Welt, die zu uns rübersuppt. Auch das nur eine oberflächliche Änderung.
Dass die Charaktere einer paranormalen Geheimgesellschaft angehören, war auch schon meine Idee für ein eigenes Rollenspiel, das überhaupt sehr ähnlich wie Candela Obscura geworden wäre. Ich hätte allerdings die Befürchtung gehabt, dass man mich des Plagiats bezichtigen würde. Das scheint angesichts der beschränkten Möglichkeiten, etwas total Neues und trotzdem Erfolgreiches zu machen, allerdings kein Problem darzustellen.
Flüsterkneipen, Slums, Fabriken, Käffer… Das viktorianische Zeitalter halt. Eher noch ein paar Jährchen mehr, so bis zum Untergang der Titanic. Wahrsagerinnen und Tarotkarten, radioaktive Strahlung und Geisterwesen. Geheimnisvolle Energien aus der Anderswelt und andere übernatürliche Phänomene.

Mechanik von Candela Obscura
Vom System her ist Candela Obscura etwas anders als Cthulhu und ziemlich gleich wie Blades in the Dark. Es nutzt Illuminated Worlds, das sehr stark an Forged in the Dark angelehnt ist. Es ist ein Poolsystem mit Sechserwürfeln. Je besser dein Charakter etwas kann, desto mehr Würfel gibts. Eine Sechs reicht aus, um die Probe zu bestehen. So ein System nutzt zum Beispiel auch Tales from the Loop, dort Year Zero Engine genannt. Der Unterschied von Illuminated Worlds ist, dass man bewusst ein schlechteres Ergebnis und somit weniger positive Auswirkungen einer Probe wählen kann, um sich Bonuspunkte für später anzusparen.
Nochmal: Eine Sechs ist ein kompletter Erfolg, vier und fünf ist ein durchzogener Erfolg, also ein Erfolg mit einem Aber, drei und tiefer ist nicht geschafft. Wenn man sogar mehr als eine Sechs würfelt, gilt dies als kritischer Erfolg.
Was Candela Obscura von Forged in the Dark (dem Regelsystem von Blades in the Dark) unterscheidet, sind die goldenen Würfel. Eigentlich müssten sie ja «vergoldete» Würfel heissen, da sie auf Englisch «gilded dice» und nicht «golden dice» heissen, tun sie aber nicht. Wählt man bewusst das Ergebnis eines goldenen Würfels (auch wenn das ein schlechteres Ergebnis bedeutet), bringt einem das Aktionspunkte zurück.
Die Charakterentwicklung ist auf der gemächlichen Seite, geht eher langsam vonstatten. Das Level-up besteht aus mehr vom Gleichen. Mehr goldene Aktionen, mehr Antriebspunkte und mehr Fähigkeiten. Da steht zwar, dass man damit eine Stufe aufsteigt – eigentlich gibt es aber gar keine Stufen, im Sinne von D&D.
Gut gefällt mir an Candela Obscura und Illuminated Worlds, dass es sehr einfach gehalten ist. Am Ende ist es aber etwas zu knapp geworden und macht einen eher unfertigen Eindruck.
Das ist drin im Grundregelwerk
Das Grundregelwerk umfasst 210 Seiten und erschien dieses Jahr auf Deutsch bei Pegasus Spiele. Es beinhaltet etwas Lore (Magie, Sprache, Technologie, Organisationen, etc.) die Charaktererschaffung, eine Beschreibung der (relativ kleinen) Welt der Fairelands, die Grundregeln, sowie vier Beispielmissionen für den Start.
Die zehn Charakterklassen (fünf mit je zwei Spezialisierungen) sind im Buch hübsch wie Tarotkarten illustriert, die Aquarell-Illustrationen geben dem Spiel ein eigenes Gefühl. Schade nur, dass mit Illustrationen gespart wurde. Mehr wäre hier mehr gewesen.
Trotz allem, was sich in diesem Text bisher leicht kritisch anhören mochte, bin ich ein ziemlicher Fan von Candela Obscura. Erstens, cthulhu-ähnliche Rollenspiele darf es meiner Meinung nach mehr geben. Zweitens, das Rollenspiel ist sehr hübsch und stimmungsvoll gemacht. Und es ist so ähnlich, wie das, was ich vorhatte zu machen.
Was auffällt, ist, wie das ganze Buch versucht, Fairness, Zusammenspiel, Ergänzungsfreiheit in den Vordergrund zu rücken. Das ist zeitgemäss sozial und sorgt für eine positive Grundstimmung.

Candela Obscura das Waisenkind
Ein dickes Minus ist die Vernachlässigung, die Candela Obscura erfahren musste. Es macht den Anschein, als ob Taliesin Jaffe die Idee längst in der Schublade hatte, sie während eines freien Slots bei Darrington Press wahr werden lassen durfte, aber dann wandte man sich Grösserem zu. Sprich: Ausser einem kostenlosen Schnellstarter und einem Grundregelwerk gibt es nichts zu Candela Obscura. Es sieht aktuell auch nicht danach aus, als ob hier laufend Erweiterungen und Abenteuer erscheinen würden. Denn aktuell liegt Input und Output von Darrington Press komplett auf Daggerheart.
Was fehlt, ist demnach mehr Lore, Abenteuerszenarien, Hintergrundbände, Vertiefungsmaterial. Es scheint, als hätte Candela niemanden mehr, der sich um es kümmert, es ist verwaist.
Fazit
Ich bin seit Minute eins ein Fanboy von Candela Obscura. Weil es dem Rollenspiel, das ich immer machen wollte, sehr nahekommt. Mir gefällt das Setting und die Epoche, das Geheimnisvolle und das Geheime. Was mich nicht begeistert, und das ist sehr persönlich, sind die Regeln. Und auch, dass Candela nicht mehr weiter „gefüttert“ wird. Denn, wenn ich mich auf ein neues Rollenspiel stürze, dann möchte ich Neuerscheinungen und interessante Erweiterungen.
Das Spiel macht den Eindruck, als ob da ein lange gehegter Gedanke zu Realität gemacht wurde. Allerdings auch, als ob es hatte schnell gehen müssen. Zum Beispiel fehlt gänzlich die Definition, ob, wann und wie ein Charakter sterben kann. Und weiter… die Welt ist nicht sehr weitläufig, es gibt kein fertiges Abenteuerszenario im Grundregelwerk, so einiges wird angetönt, aber dann den Konsumenten zur Vervollständigung übergeben.
Wäre dieses Rollenspiel doppelt so detailliert und bis zum Schluss ausgefeilt worden, es hätte noch viel mehr Potenzial. Jetzt ist es einfach ein sehr gut gemachtes Grundregelwerk, eines etwas vagen Horror-Rollenspiels mit viel Flair.

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