Kinder der Furcht Cthulhui

Cthulhu, Kinder der Furcht (Rezension)

Eine achtteilige, hintergrundlastige Cthulhu-Kampagne mit Entscheidungsfreiheit für Spielende und Spielleitung. Eine Reise durch Asien, den Buddhismus und den Kolonialismus.

«Kinder der Furcht» hatte ich so gar nicht auf dem Schirm. Ich hatte sie nicht erwartet. Plötzlich war sie da. Nicht einfach eine Abenteuer-Anthologie, kein Hintergrundband, nichts Gewöhnliches. «Kinder der Furcht» ist die limitierte Ausgabe einer achtteiligen Kampagne für bis zu sechs Investigatoren, die in Asien (China, Tibet, Indien, Pakistan) im Jahr 1923 spielt. Ui, heirassa, ich freu mir nen Ast! Das ist einer dieser Rezensionen, die ich mit leicht erhöhtem Puls schreibe.

Es gibt sechs vorgefertigte Investigatoren (mein Wunsch, den ich bei «Die Umstürmten» äusserte, scheint erhört worden zu sein), es besteht aus einer Balance zwischen Ermittlung und Action, die von der Spielleitung angepasst werden kann und schliesslich kann es im klassischen Cthulhu-Stil oder Pulp gespielt werden.

Wünsche werden fast wahr

Auch hatte ich mir mal gewünscht, Cthulhu-Abenteuer zu bekommen, die ausserhalb des Mythos spielbar sind. Also weltlichere Storys, ohne kosmischen Horror. Damals meinte Cthulhu-Chef Stefan Frank noch, das werde es so wohl nicht geben. Jetzt lese ich mir «Kinder der Furcht» durch und da steht… genau das! Danke Lynne Hardy! So heisst die Erdenkerin, dieser Kampagne. Der Wermutstropfen daran ist, dass die Mythoslosigkeit zwar grossartig angekündigt, danach aber wenig Hilfe angeboten wird, wie sie zu bewerkstelligen ist. Mehr so: Du kannst es auch ohne Mythos spielen, denk dir was aus. Alrighty then.

Das Baby umfasst fast 400 Seiten. Eine richtige Kampagne also, dicker als «Die zweiköpfige Schlange», so als Vergleich.

Illustriert

Auffällig finde ich die Illustrationen, die ungleich den sonstigen deutschen Sepia-Fotos, welche nicht immer wie die Faust aufs Auge passen, gezeichnet sind. Das ist so, wie zum Beispiel auch die «Masken des Nyarlathotep» illustriert sind. I like that. Im Falle der «Kinder der Furcht» ist es eine Mischung mehrerer Stile. Was hier irgendwie gar nicht so schlecht funktioniert. Was man an historischen Fotos hatte, verwendete man, was zur Story fehlt, wird gezeichnet. Macht Sinn. Immer eine Erwähnung wert sind die Illus meines Lieblingskünstlers Victor Leza.

Bild: Pegasus Spiele

Dies und das

Heute nach China zu fahren, ist schon ein kleines Abenteuer. Doch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts dort zu sein, dann ein bisschen nach Tibet zu gehen, bringt schon harte Indiana-Jones-Vibes mit sich. Auf dem Spiel steht einmal mehr nichts weniger als das Schicksal der Welt. Der Planet muss vor dem «König der Furcht» gerettet werden.

Ähnlich wie bei den «Masken des Nyarlathotep» ist hier alles im Detail durchdacht und zu Papier gebracht. Man wird mit den meisten Dingen als Spielleitung nicht alleingelassen. Es entsteht aber auch dieselbe Herausforderung, nämlich die Infos umgekehrt nicht so zahlreich zu machen, dass sie unmöglich zu beherrschen sind. Eine solche Kampagne herzustellen, muss der wahre Horror sein. Nicht umsonst schreibt Lynne Hardy im Vorwort, man solle es ihr ausreden, falls sie noch einmal auf die Idee komme, etwas in dem Umfang zu versuchen.

Charakterbild in «Kinder der Furcht». Bild: Pegasus Spiele

Gehaltvolle Kampagne

In Englisch ist «Children of Fear» vor ein paar Jahren erschienen. Die Kampagne hat durch das Band recht gute Reviews erhalten. Dort wurde unter anderem gesagt, dass dies eine gute Kampagne für neue Spielende sei, aber keine gute, um als SL anzufangen. Das Erstere kann ich nicht beurteilen, beim Zweiteren stimme ich zu.

Die Spielzeit der Kampagne würde kein ganzes Jahr betragen, der Wälzer bringt es aber dennoch auf 400 Seiten. Obwohl (oder gerade weil) das Werk so viele Hintergrundinformationen enthält, bietet es einem Hilfestellung. Der Haken an der Fülle ist jedoch, dass man unmöglich all diese Informationen abrufbereit haben kann als Spielleitung. Ausser, man steckt so viel Arbeit hinein, wie Lynne Hardy damals beim Erarbeiten der Kampagne. Und wer hat schon die Zeit und Energie dafür?

Kritikpunkte anderer Reviews sind: Über lange Zeit geschieht zu wenig, die Plothooks sind nicht überzeugend genug und es ist grundsätzlich viel zu viel Info, die für die Handlung gar nicht so detailliert benötigt wird.

Kinder der Furcht Schuber
Bild: Pegasus Spiele

Viel, zu viel

Vielleicht kennt die eine oder andere Spielleitung das Problem: Wenn zu viele Details drinstehen, dann neigt man dazu, überfordert zu sein, oder die Informationen einfach zu vernachlässigen. Wenn da steht, dass der NSC Dreadlocks, blaue Ohrstecker aus blauem Saphir, eine samtene Robe, Sandalen aus Krokodilleder und mit Kajal umrandete Augen hat, dass er in einem seltsamen südländischen Akzent spricht, stehts einen langen Stab trägt, der wie aus Ebenholz geschnitzt scheint, den er aber an heiligen Tagen nicht trägt, weil dieser dann für eine Zeremonie im Tempel gebraucht wird.

Er wohnt in einem ärmlichen Stadtteil, obwohl er bestimmt Unmengen an Reichtümern besitzt, vorher hat er aber bereits in der Hauptstadt gelebt, ist am nördlichen Meer aufgewachsen und ist aufgrund seiner Ausbildung in den Westen gezogen. Früher hatte er als Priester gedient, bevor er zu einem Magus wurde. Einige Zeit hatte er selbst Schüler unterrichtet, dann schrieb er sein grosses Werk, das «Potentia Virtus», das in viele Sprachen übersetzt wurde. Er grummelt meist vor sich hin, ausser man spricht ihn auf seine Leidenschaft an, dann redet er mit unglaublicher Klarheit und Begeisterung von seiner Kunst.

Das alles wird dann über drei Stellen im Buch verteilt. Am Ende denkt man sich, dass nicht alles davon relevant sein kann, aber irgendwann kommen dann ausgerechnet die Ohrstecker wieder vor, die man beim ersten Mal überlesen und gar nicht eingeführt hat. Und nicht nur das – auch das Material, aus dem sie bestehen, ist plötzlich wichtig. Dann viel Vergnügen beim zurechtbiegen des Plots, besonders dann, wenn einige solcher Löcher in der Geschichte bestehen. You see, what I mean.

Fazit

Ich bin begeistert von «Kinder der Furcht». Gerade auch, weil ich überhaupt nicht mit der Kampagne rechnete, ja, sie gar nicht kannte. Dann so ein achtteiliges Recherchewunder vorgesetzt zu bekommen, ist eine grossartige Überraschung. Asien hat für mich in der echten Welt einen grossen Reiz, bei Cthulhu bin ich mehr Team Dschungel und Team Wüste.

Und dann muss ich auch noch zugeben, dass mir die Kampagne einfach ein bisschen Angst macht. (Kinder-der-Furcht-Pun intended.) Aufgrund des Umfangs, der vielen buddhistischen Begriffe, unbekannten Orte und so weiter ist sie beängstigend. Ich habe schiesslich kaum Vorwissen zur Geschichtsschreibung Chinas oder Tibets oder Indiens. Vielleicht hängt diese Angst aber auch damit zusammen, dass ich nach zweieinhalb Jahren endlich den Dreh bei «Masken des Nyarlathotep» raus habe und noch nicht bereit bin, mich wieder zu überfordern. Ich weiss, eines Tages werde ich mich sehr darüber freuen, «Kinder der Furcht» hervorzunehmen und es zu leiten. Dieser Tag liegt für mich aber noch in weiter Ferne.

Ich möchte erfahren, wenn es neue Artikel gibt!

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