Gamer Shame

Gamer Shame ist die Tatsache, dass man sich für sein Hobby schämt und es lieber gar nicht erst erwähnt, wenn die Gesprächspartner selbst keine Gamer sind.

Den Begriff habe ich bei Martin vom grossartigen Eskapodcast aufgegriffen. Doch dort wurde von Dauergast Carsten auch gleich die Lösung dazu geliefert. Ich glaube, Gamer Shame ist der Grund, warum ich mit dem Rollenspiel aufgehört hatte – und das, obwohl ich den Begriff damals noch gar nicht kannte. Irgendwann geziemte es sich einfach nicht mehr zu spielen und kindisch zu sein. Es ist verlorene Zeit, nicht produktiv und nicht seriös genug.

Rollenspiel Renaissance

Doch irgendwann kommt man in das Alter, in dem man das Spielen wieder schätzen lernt. Spätestens, wenn man selbst Kinder hat und sowieso wieder spielen soll, darf, muss, kann.

So ging es auch Joe Manganiello, dem Hollywood-Schauspieler, der nach über 20 Jahren Auszeit von Dungeons & Dragons das Spiel wiederentdeckte und seinen Keller zu einem Dungeon umbaute, um D&D zu spielen. Er und seine prominenten Freunde bilden nun eine Rollenspiel-Supergroup. Zu den Spielenden gehören unter anderem Tom Morello von Rage Against The Machine, einer der Macher der Serie Game of Thrones und Schauspieler Vince Vaughn.

Sie alle schämen sich nicht. Einerseits, weil das Darstellen und Kreativsein ihr Beruf ist, mit dem sie berühmt geworden sind und ihr Geld verdienen, andererseits deswegen, weil sie so einem besonders exklusiven Verein angehören. Es ist nicht mehr nötig sich zu schämen, die Zeiten der Satanic Panic sind vorbei. Heute kann man scheinbar stolz auf dieses Hobby sein, das sozial, kreativ und trendy ist.

Aus Nerds werden Vorbilder

Critical Role mit Vorzeige-Nerd Matt Mercer oder Brennan Lee Mulligan von Dimension 20 sind zwei komplette Geeks, die ihr Kellerhobby salonfähig gemacht haben. Weil sie gut sind, in dem, was sie tun. Weil sie das Glück hatten, es zeigen und vermarkten zu können. Und so sind aus Freaks, die zu Hause irgendetwas Komisches taten, Rolemodels geworden, die künstlerisch tätig sind, wie Schauspieler, Musiker und Schriftsteller auch.

Der Geheimtipp, das unverständliche Erzählspiel, das Zocken im Hobbyraum wurde zur Avantgarde erhoben. Tausende und Hundertausende schauen nun stundenlang zu, wie diese Menschen auf Youtube und Twitch ihre Geschichten spinnen und in Rollen schlüpfen. So möchten wir doch auch sein. Denn die da sind damit sogar erfolgreich geworden, verdienen damit Geld und werden bewundert.

Coming-out

Auch mir hat diese Ernsthaftigkeit und Popularität zum Rollenspiel-Coming-out verholfen. Einmal fragte ich einen entfernten Bekannten, der bei einer Bank in Deutschland arbeitet, ob es für seine ArbeitskollegInnen nicht seltsam sei, dass er in seiner Freizeit in die Rolle eines Detektivs schlüpfe, Geschichten für andere leite und Orks bekämpfe. Und ob er das nicht lieber geheim halte. Er sagte: «Ganz im Gegenteil!» Seine KollegInnen seien beeindruckt, interessiert, ja, sogar ein wenig neidisch, dass er sein Hobby auch während einer Pandemie ganz einfach online weiterführen könne. Enthusiasmus und Begeisterung ohne Ende.

Für mich ist Rollenspiel ein Teil von mir und meiner Geschichte. Ich erzähle gerne und liebe Geschichten, Filme, Bücher, Storytelling und Fantasy. Ich bin Musiker, Schreiberling, Künstler – seit Jahrzehnten. Ich liebe es, mich in fremde Welten zu denken; noch besser, wenn das mit Freunden geschieht. Ich spiele gerne, würfle gerne, triumphiere und verzage gerne. Darum ist Rollenspiel genau das Richtige für mich. Dass das nicht für alle sinnvoll, begreiflich und nachvollziehbar ist, kann ich verstehen. Es gibt so manches Hobby (diverse Sportarten, Fischen, Sammeln), das sich mir nur rätselhaft erschliesst, aber das muss es ja auch gar nicht.

Seriöse Spieler und Sammler

Einer, der mir ebenfalls den Rücken gestärkt hat, ohne es zu wissen, ist Carsten vom Eskapodcast. Der Mann ist älter und seriöser als ich und steckt trotzdem bis zum Hals in der Rollenspielerei. Er ist Psychologe, kennt sich aus mit der Psyche des Menschen, hat einen Ruf zu wahren und schämt sich trotzdem kein kleines bisschen für das Schlüpfen in fiktive Rollen, seinen Sammelwahn oder seine Convention-Besuche mit anderen Nerds.

Warum? Weil er ganz nüchtern betrachten kann, was andere belächeln. Er hat durch Rollenspiel seine Bekanntschaften und Freunde gemacht; er sammelt, wie andere das auch tun, aber halt einfach Rollenspielbücher. Was soll besser daran sein, Briefmarken oder Flaschen zu sammeln, Fussballbilder oder Gemälde? Am Ende ist es eine seriöse, erwachsene Sache, sein teuer verdientes Geld in eine aussergewöhnliche Sammlung zu stecken und diese auszustellen.

Wenn jemand, der so seriös ist, ohne mit der Wimper zu zucken, dazu stehen kann und es als gewinnbringend für sein Leben, sich und die Gesellschaft deklariert, warum dann wir nicht auch? Amen.

Spiel-Zitate

Und wer davon immer noch nicht überzeugt ist, hier ein paar grossartige Zitate, die mit dem Spielen zu tun haben:

Spielen ist eine Tätigkeit, die man gar nicht ernst genug nehmen kann.

Jacques-Yves Cousteau, Entdecker und Meeresforscher

Oder dieses:

Wir hören nicht auf zu spielen, weil wir alt werden, wir werden alt, wenn wir aufhören zu spielen.

Doyle Brunson, Pokerspieler

Und schliesslich mein Favorit:

The time you enjoy wasting is not wasted time.

Bertrand Russell, Philosoph, Mathematiker und Logiker

Und so bin ich wieder zum Pen & Paper zurückgekommen: Lies auch den Artikel zum Wiedereinstieg ins Rollenspiel.

Ich möchte erfahren, wenn es neue Artikel gibt!

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