Carsten Pohl arbeitet als psychologischer Psychotherapeut in einer Klinik und ist Rollenspieler, Podcaster und Autor. Für mich ist er auch Mr. Cthulhu. Er schreibt für Cthulhu von Pegasus Spiele sowie FTAGHN, dem Rollenspiel der H. P. Lovecraft-Gesellschaft und hat ein Zimmer voll mit Spielen inklusive einer kompletten Sammlung der deutschen Veröffentlichungen für das Cthulhu-Rollenspiel.
Lieber Carsten,
danke, dass du bei diesem Interview mitmachst.
Ich spiele und leite besonders gerne Cthulhu. Es ist Mitgrund, warum ich nach langer Zeit wieder mit dem Rollenspiel angefangen habe; weil ich sah, dass Rollenspiel nicht nur Fantasy sein muss. Auch der Eskapodcast, von dem du fester Bestandteil des Ensembles warst, hat mir geholfen, die verlorenen Jahre einfach aufzuholen. Dabei fand ich deine Kommentare, Einwürfe und Weisheiten immer besonders erquickend.
Das freut mich sehr – herzlichen Dank!
Erstmal vorab, also eigentlich Frage 0: Wie sprichst du eigentlich Cthulhu aus, bzw. wie ist es nun korrekt?
Da scheiden sich bekanntlich die Geister der Lovecraftfans und Cthulhu-Spielenden, sodass es immer wieder zu Diskussionen darüber kommt und die Frage bis heute nicht abschließend geklärt ist. Vor kurzem stieß ich auf ein interessantes Video zur korrekten Aussprache von Cthulhu.
Ich halte mich aber seit über 20 Jahren praktischerweise an die Definition, die im 1999 erschienenen «H.P. Lovecrafts Cthulhu – Das Rollenspiel» von Pegaus Spiele in der Einführung als einfachste Möglichkeit der Aussprache steht: «Kuh-Tuu-Luu». Das Thema eignet sich das ja auch prima, um es auch mal Ingame im Cthulhu Rollenspiel aufzugreifen. Habe dazu auch schon eine Idee…
Wie bist du zum Rollenspiel gekommen?
Rollenspiel habe ich klassisch mit DSA begonnen: Ein Freund hatte die 2. Edition des DSA-Basisspiels, die es bei uns in einem 10.000 Seelenstädtchen im Kaufhaus gab, zum Geburtstag geschenkt bekommen.
DSA war dann über zwei Jahrzehnte auch unser Hauptsystem. Unser erstes Cthulhu-Abenteuer hatten mein Freund Volker und ich, mit dem ich seitjeher Rollenspiele, bereits 1991 auf dem Schweinfurter Fantasyfestival bei Wolfgang Schiemichen gespielt, der damals noch bei Laurin Cthulhu-Autor war.
Das war ein einprägsames Spielerlebnis – all unsere Charaktere starben entweder oder wurden wahnsinnig. Selbst Cthulhu gleitet habe ich aber erst nach dem Erscheinen bei Pegasus 1999. Seit mehreren Jahren ist Cthulhu nun unser Hauptsystem.
Dein Twitter-Handle ist «Herr der Spiele». Das klingt unbescheiden, hat aber seinen Grund. Woher kommt das?
Ja stimmt – das ist augenzwinkernd gemeint und spielt auf «Herr der Ringe» an. Rollen-, Brett- und Kartenspiele sowie Tabletops sind ein großes Hobby von mir und der Twitter-Handle vereint das schön. Ein Journalist hatte «Herr der Spiele» als Titel für einen Artikel über meine Spieleleidenschaft gewählt. Letztlich hat mich aber mein Freund Volker zur Wahl dieses Namens ermutigt.
Wie erklärst du deinen Arbeitskollegen, was du da in deiner Freizeit so treibst?
Früher wurde ich manchmal belächelt, wenn ich von meinen Hobbies (ich war auch mit einem Fanclub in der Stark Trek Szene aktiv) erzählte. Mit der Zeit wurde ich etwas vorsichtiger, mit wem ich was teile. Inzwischen bin ich jedoch auch in einer Position, wo einfach die fachliche und persönliche Kompetenz ausschlaggebend ist.
Und ich habe sehr nette Kolleginnen und Kollegen, die sich dafür interessieren, wenn ich z. B. von einem LARP im Harry Potter Universum für spätberufene Zauberer erzähle.
Es gibt sogar Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls Pen & Paper Rollenspielen oder LARPen. Ich finde auch popkulturelle Therapie spannend. Harry Potter lässt sich z. B. leicht und gut in der Psychotherapie einsetzen.
Du befasst dich beruflich mit der menschlichen Psyche. Kommt daher deine Vorliebe für Cthulhu, wo das Sanity-System eine Rolle spielt?
Nach der Realschule habe ich zunächst eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Psychologie und Psychiatrie fand ich im Unterricht und während eines Praxiseinsatzes am spannendsten. Nach dem Examen habe ich daher zunächst als Krankenpfleger in der Psychiatrie gearbeitet. Später habe ich Psychologie studiert und eine Verhaltenstherapie-Ausbildung absolviert.
Meine beruflichen und rollenspielerischen Tätigkeiten liefen viele Jahre lang parallel und inhaltlich auch zeitversetzt. Vielleicht hatte beides aber einen gemeinsamen Ursprung in meinen Interessen und Neigungen. Ich verbinde gerne Beruf und Hobby in einzelnen Projekten. So habe ich z. B. einerseits schon mehrmals ein Seminar über den therapeutischen Einsatz von Brett- und Kartenspielen gegeben und habe andererseits schon mehrfach für Cthulhu über Psychologie und Psychiatrie geschrieben.
Das Sanity-System finde ich sehr interessant. Es wurde für den Einsatz am Spieltisch entwickelt und weicht in einigen Punkten entscheidend von den dem ab, was wir fachlich vor allem über Zwangs- und Angsterkrankungen wissen. Es gibt aber auch Parallelen. Z. B. kann mit bestimmten Verfahren die Krankheitsschwere auf einer Skala von 1 bis 100 erfasst werden.
Ich denke Sandy Petersens großer Verdienst besteht darin, dass er mit dem Sanity-System in Cthulhu die Themen psychische Erkrankungen und besonders Trauma in das Rollenspiel gebracht hat. Damit hat er sicherlich auch dazu beigetragen, hierfür ein größeres Bewusstsein zu schaffen.
Lässt sich über Rollenspielende eine generelle psychologische Aussage machen?
Generelle Aussagen sind fast immer schwierig. Beim Vergleich von Rollenspielenden und Nichtrollenspielenden muss man beachten, dass mögliche Unterschiede sowohl durch eine Art Trainingseffekt durchs Rollenspielen als auch durch vorab bestehende Unterschiede in der Persönlichkeit, die eine Vorliebe für das Rollenspielhobby bedingen, hervorgerufen werden können.
Darüber hinaus ist das Rollenspielhobby in bestimmten Kreisen wie unter Studierenden einfach auch weiter verbreitet. Ohne jetzt hier die entsprechende Forschungsliteratur genau zu rezipieren, scheinen mir Kreativität, Problemlösefähigkeit, logisches Denken und soziale Kompetenz bei Rollenspielenden stärker ausgeprägt zu sein.
Jonas, ein Student von mir, hat dazu im Rahmen seiner Bachelorarbeit eine Fragenstudie durchgeführt. Er ist gerade dabei, seine Ergebnisse aufzubereiten, damit sie auf einer Webseite allen Interessierten zugänglich gemacht werden können.
Dein Abenteuer «Ultima Ratio» wird häufig als ein Lieblingsabenteuer genannt. Was ist so gut daran? (Ohne zu spoilern.)
Das Abenteuer ist ein One-shot mit drei vorgefertigten Charakteren, enthält eigentlich alles, was ein typisches Cthulhu-Abenteuer ausmacht und ist in gerade mal einer Stunde komplett spielbar. Die Grundidee dazu ein Abenteuer zu schreiben, dass in einer so kurzen Zeit spielbar ist, habe ich André Frenzer zu verdanken, der auf seinem Blog Seanchui goes Rlyeh vor inzwischen über 10 Jahren einen Kurzabenteuer-Wettbewerb mit der Vorgabe einer sehr knappen Zeitbegrenzung veranstaltet hatte.
Mit dem Cthulhu-Band «Einstiege ins Entsetzen» gibt es inzwischen ja auch eine Anthologie, deren Abenteuer der ähnlichen Prämisse folgen. Das Besondere an Ultima Ratio ist, dass das Abenteuer quasi in Echtzeit gespielt wird.
Was ist eigentlich dein absolutes Lieblingsabenteuer im Cthulhu-Kosmos und warum? (Deine eigenen ausgenommen.)
Da muss ich einfach das klassische Cthulhu-Abenteuer «Der Sänger von Dhol» von Florian Hardt nennen, das Du ja auch schon in Deinem Blog renzensiert hast und das ich heute über 20 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung immer noch exzellent finde.
Ich habe eine Vorliebe für Oneshots mit vorgefertigten Charakteren. Und «Der Sänger von Dhol» hat uns allen eindrucksvoll gezeigt, was für ein Potential in einem solchen One-shot steckt, von denen es viele andere, inklusive «Ultima Ratio» ohne «Der Sänger von Dhol» nicht geben würde. Insofern finde ich die Neuauflage 2020 im Band «Die Perlentaucher vor R’lyeh» oder digital absolut für gerechtfertigt.
Bis ich eigene Abenteuer hatte, habe ich «Der Sänger von Dhol» über ein halbes Dutzend Mal geleitet und das Abenteuer hat immer hervorragend funktioniert.
Mein absolutes cthuloides Lieblingsabenteuer und ebenfalls ein One-shot mit vorgefertigten Charakteren ist aber «Riders of the Storm», von Moritz Honert, 2021 für FHTAGN erschienen. Das Abenteuer brilliert in mindestens 7 Punkten:
- Wie es mehrere bekannte und berüchtigte historische Gegebenheiten aufgreift, kreativ miteinander kombiniert, cthuloid weiter spinnt und sehr gekonnt mit dem Mythos verknüpft.
- Wie ebenso bekannte, eingängige und sehr passende Musik im Abenteuer integriert wird.
- Wie gut das Setting (die Ermittlung einer Polizeieinheit) simuliert wird.
- Wie abwechslungsreich, interessant und gleichzeitig sich gut ergänzend die vorgefertigten Charaktere trotz ihrer Gemeinsamkeiten (alle Polizisten) sind.
- Wie das Wetter leitmotivisch wortwörtlich ins Abenteuer fließt.
- Wie kreativ innovative Erzähltechniken das Spiel bereichern.
- Wie gut es dem Autor mit dem Abenteuer gelingt, einen Spannungsbogen aufzubauen und bis zum überraschenden Ende mit einer unvorhergesehenen Wendung hin kontinuierlich zu steigern und in einem echten Dilemma für die Investigatoren kulminieren zu lassen.
Ein psychologischer Kniff: Wenn du dich selbst interviewen würdest, welche Frage würdest du dir stellen und wie würde die Antwort lauten?
Was hat Dich motiviert, nach mehreren Jahrzehnten als Spieler selbst für Rollenspiele zu schreiben?
Geholfen hatte mir zum einen «Ultima Ratio», das ich insbesondere auf der CthulhuCon zunächst dutzende Male gleitet hatte und dazu viel positives Feedback bekam, inklusive der Redaktion von Cthulhus Ruf, die dann das Abenteuer in ihrer Ausgabe 6 brachten. Zum anderen hatte mich Cthulhu-Chefredakteur Heiko Gill, dem ich nur ein sehr kurzes Exposee geschickt hatte, motiviert, «Filmriss» zu schreiben, das dann im Cthulhu-Band «Dreißig» von Pegasus Spiele erschien.
Neben der Freude eigene Ideen professionell zu veröffentlichen und zu erfahren, wie andere die eigenen Abenteuer geleitet oder gespielt haben (am Schönsten finde ich fast, Let’s Plays von den eigenen Sachen sehen zu können), sehe ich mich in erster Linie weiterhin als Fan. Ein Fan, der so die Möglichkeit bekommen hat, andere Autorinnen und Autoren zu treffen, sich mit ihnen austauschen und kreativ zusammenarbeiten zu können, was mir eine unglaubliche Freude bereitet.
Der Eskapodcast gehört für mich zu den Top 3 deutschsprachigen Rollenspiel-Podcasts. Warum habt ihr aufgehört? Und fehlt es dir?
Schön! Die Jahre als häufiger Gast im Eskapodcast waren eine tolle Zeit. Die Vorbereitung auf die einzelnen Folgen und der Austausch über die jeweiligen Themen mit den anderen Mitgliedern des Casts hat meine Sicht auf und mein Verständnis von Rollenspielen stark erweitert und bereichert.
Martin, für den als Host und Herz des Podcasts immer die Hauptlast der Arbeit lag, spricht ja in der finalen Folge über seine Gründe, die ich sehr gut verstehen kann, ebenso wie dass die Dynamik eine andere ist, wenn alle bei einer Folge zusammen vor dem Mikro sitzen.
In der Coronazeit sind wir auf Online-Aufnahme der Folgen umgestiegen. Für mich hätte sicherlich die Anfahrt (100 km hin und zurück) bei künftigen weiteren Präsenzfolgen aus Zeit-, Kosten- und Umweltgründen eine Rolle gespielt.
Dass es inzwischen viel mehr deutschsprachige Rollenspielpodcasts als zu Beginn des Eskapodcasts gibt, sehe ich eher als Bereicherung. Gleichzeitig gibt es inzwischen eine so große Auswahl, dass man lange nicht mehr alle hören kann und es somit viele schöne andere Alternativen zum Hören gibt. Der kreative Austausch fehlt mir wirklich etwas. Andererseits entsteht so Platz für neue Projekte…
Was wünschst du dir persönlich für die Zukunft des Rollenspiels?
Rollenspiel ist mein liebstes Hobby, dass mich seit meiner Jugendzeit begleitet. Ich hoffe, dass es mein ganzes Leben so bleiben wird. Viele Rollenspiele haben sich auch schon in eine Richtung entwickelt, dass sie auch gut als Hobby neben Arbeit, Familie und anderen Hobbies gut eignen. Ich denke da vor allem an einfache Regeln, die es bei Cthulhu ein Glück ja immer schon gibt.
Ich freue mich darüber, dass in den letzten Jahren die Präsenz von Pen & Paper Rollenspielen in den Medien, vor allem in Streams und Videos eine Trendwende eingeleitet haben. Pen & Paper Rollenspiele sind populärer geworden und dürften ruhig noch etwas mehr im Mainstream ankommen, damit möglichst viele Menschen in den Genuss dieses tollen Hobbies kommen können.
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